: Bombardements ein Zeichen von Schwäche
■ Der dritte "Vernichtungsfeldzug" der türkischen Armee gegen kurdische Stellungen seit dem Ende des Golfkriegs hat gezeigt, daß der türkische Staat zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage...
Bombardements — ein Zeichen von Schwäche Der dritte „Vernichtungsfeldzug“ der türkischen Armee gegen kurdische Stellungen seit dem Ende des Golfkriegs hat gezeigt, daß der türkische Staat zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage unfähig ist. Und die Regierung von Nato-Partner Deutschland schweigt.
Die türkischen Streitkräfte haben sich am Montag nach Angaben der halbamtlichen Nachrichtenagentur 'Anatolia‘ wieder aus dem nordirakischen Kurdengebiet zurückgezogen. Zum dritten Mal seit dem Ende des Golfkrieges hatten türkische Soldaten am Freitag die türkisch-irakische Grenze überschritten, um Jagd auf mutmaßliche Stützpunkte der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), die in der Türkei einen Guerillakampf für ein unabhängiges Kurdistan führt, zu machen. Die Agentur meldete ohne Angabe von Einzelheiten, der PKK seien große Verluste zugefügt worden. Bei den Luftangriffen sind nach Rundfunkberichten der „Demokratischen Partei Kurdistans“ im Verlauf der dreitägigen Operation zwölf Menschen getötet und mehrere kurdische Dörfer beschädigt worden.
Der türkische Generalstabschef Dogan Güres sprach von einem „Vernichtungsfeldzug“ gegen die PKK, die auch Stützpunkte im kurdischen Nordirak unterhält. Die rund 6.000 Mann Bodentruppen, die die Grenze überschritten hatten, wurden in den vergangenen Tagen von der Luft aus mit Flugzeugen und Hubschraubern unterstützt. F-4- und F- 104-Bomber flogen in den vergangenen Tagen insgesamt 36 Einsätze. Informationen aus der Region zufolge setzte das türkische Militär erneut Napalm und Phoshorbomben ein und bombardierte Zivilisten.
Die Türkei begründete den Angriff auf kurdischem Territorium im Nordirak mit dem Überfall der PKK auf drei Militärstützpunkte nahe der irakischen Grenze am vergangenen Freitag, bei dem insgesamt 17 türkische Soldaten getötet und 40 Personen verletzt wurden. „Es war im Morgengrauen. Plötzlich griffen sie an. Zuerst mit Mörserbatterien. Dann mit Handbomben und Kalaschnikows. Es war die Hölle“, berichtete der Dorfschützer Mustafa Günes, der auf seiten des türkischen Militärs kämpfte. In dem Militärstützpunkt Mevzitepe kamen bereits am 7. Oktober elf türkische Soldaten ums Leben, als Guerillaeinheiten der kurdischen PKK angriffen. Der türkische Staatspräsident Turgut Özal war am 13. Oktober zu dem abgelegenen Stützpunkt gereist und hatte publicitywirksam Erinnerungsfotos mit den dort stationierten Soldaten schießen lassen.
Der erneute Angriff der PKK auf diesen Stützpunkt wurde von seiten des türkischen Staates offenkundig als Niederlage empfunden. Allein offiziellen Zahlen zufolge sind im Laufe dieses Jahres 92 türkische Soldaten im kurdischen Bürgerkriegsgebiet getötet worden. Nach dem angriff der PKK auf die Militärposten am Freitag gestanden türkische Politiker und der Generalstab indirekt erstmalig die Stärke der PKK ein. Regierungssprecherin Imren Aykut redete von „500 Terroristen“, die für den Überfall verantwortlich seien.
Der türkische Innenminister Sabahattin Cakmakoglu, der am Sonntag ins Gebiet reiste, gab bekannt, daß die türkische Armee im Gegenzug „rund 100 Terroristen getötet und 50 Terroristen verletzt“ habe. Doch die PKK habe die Toten mit Mauleseln über die Grenze getragen, gab der Innenminister bekannt. Offizielle Kreise in der Türkei feiern die Militäroperation als großen „Vernichtungsfeldzug“ gegen die PKK. „Die andere Seite verschweigt die Zahl der Opfer. Und wir können nach den Luftwaffenbombardements nicht die Zahl der Toten zählen. Aber fest steht, daß sie große Verluste haben“, äußerte ein Sprecher im türkischen Generalstab.
Doch diese Darstellungen sind nicht sehr glaubwürdig, ebensowenig wie die Presseerklärung der Europa-Vertretung der PKK, die von 150 getöteten Soldaten spricht. Viele Indizien deuten darauf hin, daß die Militäroperationen der Türkei zur Bekämpfung von PKK-Stützpunkten erneut ein Fiasko darstellen und die PKK kaum Verluste von der „grenzüberschreitenden Operation“ davongetragen hat. Der Einmarsch von 6.000 Mann in den Nordirak ist eher als Publicity-Feldzug zu werten. „Der türkische Staat ist mächtig“, kommentierte der noch amtierende Ministerpräsident Mesut Yilmaz die Operationen der türkischen Armee. In Wirklichkeit zeigen die Resultate eher die Schwäche des türkischen Staates, der angesichts der Massenbasis, die die kurdische Guerilla PKK in den vergangenen Jahren errungen hat, zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage unfähig ist. Die PKK hat in den vergangenen Monaten stets betont, daß sie zu einer politischen Lösung bereit ist. Die Entführung von sieben türkischen Soldaten Ende September und ihre Freilassung am 19. Oktober durch die PKK war ein politisches Zeichen für die Dialogbereitschaft der Guerilla.
Die Bombardements der Luftwaffe und das Eindringen türkischer Bodentruppen in die kurdischen Gebiete des Nordiraks haben die seit dem Golfkrieg geknüpften Beziehungen der Türkei mit den kurdischen Führern im Irak aufs schwerste belastet. Mesud Barzani, der Führer der Demokratischen Partei Kurdistans, der größten kurdischen Oppositionsgruppe im Irak, zog seinen Sonderbeauftragten in Ankara, Siyamand Banaa, ab. Zuvor hatte Banaa dem türkischen Außenministerium eine äußerst scharfe Protestnote gegen die Bombardierung ziviler Ansiedlungen übergeben: „Die türkischen Flugzeuge bombardieren zivile Siedlungsgebiete. Selbst die Dörfer Barzan, Bile, Rezan und Pirus wurden bombardiert. Dies ist der Beweis, daß eine Kampagne zur Zerstörung unserer Dörfer begonnen wurde. Trotz all unserer Bitten und unserer Entschlossenheit, keinen Terroristen in unserem Land Unterschlupf zu gewähren, griff die türkische Luftwaffe zum dritten Mal unsere Dörfer an.“
Am bedeutendsten ist der Beschluß der Demokratischen Partei Kurdistans, den kurdischen Bruderzwist mit der PKK aufzugeben: „Der Beschluß, den die fünf Organisationen, die der Kurdistan-Front angehören, vor einiger Zeit gefaßt haben, gegen die PKK zu kämpfen und diese Organisation aus dem Nordirak zu vertreiben, ist hiermit aufgehoben.“ Der Beschluß war von den kurdischen Organisationen des Iraks auf türkischen Druck hin entstanden.
Die Erklärung Barzanis hat türkische Regierungskreise in schwere Bedrängnis gebracht. Die Entscheidung vom Sonntag, die Luftwaffenbombardements einzustellen, wurde nach der Protestnote Barzanis gefaßt. Eilig gab das türkische Außenministerium am Montag in einer Erklärung bekannt, daß im Auftrag der Regierung eine „technische Kommission“ die Vorwürfe an Ort und Stelle überprüfen wird. Auch der Führer der „Patriotischen Union Kurdistans“, Jelal Talabani, der am Sonntag nach Ankara einflog, um Gespräche mit türkischen Politikern zu führen, protestierte — ganz diplomatisch und halbherzig — gegen die türkische Militäroperation. Die Militärs zeigten sich wenig beeindruckt. „Von einem Schaden für die Zivilbevölkerung kann keine Rede sein. Wir haben die Koordinaten aller zivilen Ansiedlungen in dem Gebiet“, sagte der Generalsekretär des türkischen Generalstabes, Hursit Tolon. Ömer Erzeren, Istanbul
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