: Autonome Maulwürfe im Verfassungsschutz
■ Kreuzberger Szene ist bestens informiert, was der Verfassungsschutz von ihr denkt/ Innensenator Heckelmann sucht nach »Durchstecher«
Berlin. Fast zwei Jahre hat das Landesamt für Verfassungsschutz an seinem ersten Jahresbericht gearbeitet. Nächste Woche soll das Werk dem Senat vorgelegt werden. Doch noch bevor die Landesregierung sich ein klares Bild über die verfassungsfeindlichen Bestrebungen in der Stadt machen kann, ist der Bericht bereits auf der Gegenseite Gegenstand intensiver Würdigung. Als das Elaborat fertiggestellt wurde, wanderte es nicht nur auf den Schreibtisch von Innensenator Heckelmann, sondern auch in die linksradikalen Kreise Kreuzbergs. Seit ein paar Tagen können Autonome in ihrer Gazette 'Interim‘ nachlesen, welches Gefährdungspotential von ihnen ausgehe. Mit dem ersten Verfassungsschutzbericht Berlins bekommen sie amtlicherseits bestätigt, was sie schon immer vermuteten. »Die Autonomen entziehen sich jeder nach organisatorischen Einheiten gegliederten Darstellung«, umschreibt der Bericht die Schwierigkeiten der Verfassungsschützer mit ihrem Lieblingsobjekt, um sodann zu der Einsicht zu gelangen, daß die etwa 650 Berliner Anhänger dieser politischen Richtung »eine Grundtendenz zur Ablehnung der Organisation, zur Dezentralisierung, zum Ideologieverzicht, zur Ablehnung von Disziplin, zur Selbstorganisation und eben zur Autonomie« haben.
Bei der Innenverwaltung ist man sichtlich irritiert über diese intimen Einblicke, die die Kreuzberger Szene in die Erkenntnisse des Landesamtes hat. Der Bericht, versicherte die Sprecherin der Innenverwaltung, Martina Ernst, der taz, kursierte in ihrem Haus lediglich auf Leitungsebene. Sie findet es bedenklich, daß in der Innenverwaltung augenscheinlich eine undichte Stelle vorhanden sei, schließt jedoch aus, daß es sich bei dem Informanten der Autonomen um Innensenator Heckelmann oder jemanden aus seiner Leitungsrunde handele. Der Durchstecher wird beim Verfassungsschutz vermutet. Heckelmann hat gestern den Leiter des Amtes, Heinz Annußek, angewiesen, in seinem Haus zu recherchieren, »wie der Bericht an anderweitige Quellen gelangt ist«. Wenn sich dabei sachdienliche Hinweise ergäben, schließt Ernst disziplinarische oder strafrechtliche Konsequenzen nicht aus.
Bei Vertretern der beiden Regierungsfraktionen im Abgeordnetenhaus rief der Vorfall Empörung hervor. Der Vorsitzende des Verfassungsschutzausschusses, Klaus- Hermann Wienhold (CDU), sprach von einem ungeheuerlichen Vorgang, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Konsequenzen führen müsse. Damit würden sich alle Vorurteile bestätigen, die gegen das Amt bestünden. Es spotte jeder Beschreibung, daß der Geheimdienst nicht dafür Sorge trage, »daß so was nicht zu den Autonomen geht«, denn, »wenn die noch Gegner haben, dann doch die Autonomen«. Wienhold will den Vorgang auf der nächsten Sitzung des Ausschusses zur Sprache bringen.
Auch seine Stellvertreterin im Ausschußvorsitz, die SPD-Abgeordnete Helga Thomas, fand, das sei »ein dickes Ei«. Es sei ein Zeichen dafür, daß beim Verfassungschutz etwas nicht stimme. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen/ Bündnis 90, Renate Künast, verlangte, daß der Bericht nun endlich an die Abgeordneten ausgehändigt werde. Von der Brisanz seines Inhaltes ist sie allerdings nicht überzeugt. Dieter Rulff
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