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Die Preise steigen bei fallender Inflationsrate — lügt die Statistik?

■ Politisch gesetzte und manchmal auch zufällige Faktoren beeinflussen die Preise und die Inflationsrate

Frankfurt/Main (dpa/vwd) — Die Preise steigen und die Inflationsrate fällt. Tiefsitzende Vorurteile und Mißtrauen gegenüber den Veröffentlichungen der Statistiker scheinen bestätigt — aber zu unrecht. Hausmänner, Konsumentinnen, Mieter und Autofahrerinnen sehen beständig die Preise steigen. Paradoxerweise aber zeigt der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte im Jahresvergleich seit Monaten fallende Tendenz.

So ermittelten die Statistiker der Landesämter von September bis Oktober eine durchschnittliche Teuerung in Westdeutschland um 0,3 Prozent. Gegenüber dem Oktober 1990 bedeutet dies aber nur einen Preisanstieg von 3,5 Prozent. Das ist — jeweils im Vergleich mit dem Vorjahr — weniger als im September (3,9 Prozent) und August (4,1 Prozent). Der abgebremste Preisauftrieb jeweils gegenüber dem entsprechenden Monat 1990 ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß sich die private Lebenshaltung nach dem großen Sprung im Juli um 4,4 Prozent nur noch leicht verteuerte. Der Juli-Sprung aber kam zum größten Teil aus den Steuererhöhungen.

Hinzu kommt der sogenannte Basiseffekt. 1990 stiegen die Preise im August spürbar an, weil sich der Rohölpreis nach dem Einmarsch der Irakis in Kuwait zeitweise fast verdoppelte. Dieser Basiseffekt führte dazu, daß im September 1991 der Preisabstand zwischen 1990 und 1991 wieder unter vier Prozent rutschte, weil Öl wieder so wenig kostet wie vor der Golfkrise. Für das Gesamtjahr dürfte sich eine Inflationsrate von durchschnittlich 3,5 Prozent ergeben.

Im Frühjahr 1992 tritt dann ein umgekehrter Effekt ein. Dann ist in Westdeutschland möglicherweise mit einer Inflationsrate von fünf Prozent zu rechnen, auch wenn die Preise nicht schneller steigen als heute. Dabei kommt nämlich der Basiseffekt andersherum zum tragen, weil im Frühjahr 1991 die Preissteigerung sehr gering gewesen ist. Zum anderen werden zum 1. Januar die Erhöhungen bei den Rundfunk- und Fernsehgebühren und am 1. März bei der Tabaksteuer spürbar.

Im weiteren Jahresverlauf 1992 erwarten die Volkswirte wegen der voraussichtlich abflachenden Konjunktur wiederum einen geringeren Preisanstieg. In der zweiten Jahreshälfte könnte er sogar deutlich unter vier Prozent liegen, so daß im Jahresdurchschnitt 1992 eine Inflationsrate von vier bis 4,5 Prozent erwartet wird. Sollte Anfang 1993 die Mehrwertsteuer — wie von der Bundesregierung geplant — erhöht werden, wäre wiederum ein politisch gesetzter Preisfaktor einzukalkulieren.

Auch wenn also die Inflationsrate mit Skepsis zu betrachten ist — sie und gleichzeitig die Preise lägen niedriger ohne die deutsche Einheit. Die Steuererhöhung im Juli dient der Finanzierung des Umbaus der Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft. Gleichzeitig ist die D-Mark schwächer gegenüber dem Dollar und dem Yen, weil die Leistungsbilanz gegenüber dem Ausland ins Minus gerutscht ist, weil wiederum mehr Waren im Osten importiert wurden, während der Export stagnierte.

Der Anstieg der ganz persönlichen Lebenshaltungskosten ist allerdings vom Anstieg der Durchschnittspreise ebenfalls nur bedingt abhängig. Ein besonderer Faktor ist das Autofahren: Die Preise fürs Benzin lagen im Juli 1991 30 Prozent höher als im Juli des Vorjahres.

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