piwik no script img

Wovon war die Rede?

■ »Schuld und Bühne« von Ivan Stanev im Hebbel-Theater

In Schuld und Sühne von Fjodor Dostojewski bringt der arme Student Raskolnikoff eine reiche Wucherin mit einer Axt um und entflieht. Doch Gewissensbisse plagen ihn, und er weiß, daß er seiner Strafe nicht entgehen kann. Er kommt nach Sibirien, doch erst durch die Liebe von Sonja wird er wirklich geläutert und letztendlich geheilt. Ivan Stanev, Regisseur und Bühnenbildner, benutzt diese Vorlage, um daraus einen zweistündigen Kinderreim eines debilen Alkoholikers zu formulieren, den er dazu noch in die Form des Chorsatzes der griechischen Tragödie zwingt. Was dabei auf der kargen schwarzen, mit Kirchenstühlen versehenen Bühne des Hebbel-Theaters herauskommt, läßt sich am besten im Zitat wiedergeben: »Mir wird's übel, so ein Dübel, Hugendubel«.

Bei Ivan Stanev ist Raskolnikoff Frankenstein, die ihn umgebenden Personen eine Laienspielschar in einer mißlungenen Weihnachtsgeschichte, und die Vorlage von Dostojewski sowieso für die Katz.

Konnte man bei Hermaphroditus noch auf zusammengeklauten laienphilosophischen Brei verweisen, so muß man hier die Meßlatte schon weitaus tiefer (im Niveauverlust) anlegen. Was in Schuld und Bühne aus den Mündern der bemitleidenswerten SchauspielerInnen fließt, ist eine unbeschreibliche Anhäufung von Schwachsinnigkeiten.

Doch auch hier, wie schon zuvor bei Hermaphroditus, reißen die Schauspieler/innen den Karren, so gut es geht, aus dem Dreck. Sie sind einfach phantastisch. Auch wenn sie Klischees bedienen müssen und die dümmsten Witze (die ganz und gar nicht komisch sind) reißen,- egal, was diese Truppe tut — es wirkt erfrischend, kraftvoll und überzeugend. Das mag auch an der Regie von Ivan Stanev liegen. Denn der ganze Abend ist wohl durchdacht und choreographiert. Man mag sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn dies Ensemble mitsamt dem Regisseur ein gut geschriebenes Stück zur Verfügung hätte. Stanev kann wirklich stolz darauf sein, diese Truppe von Multitalenten an sich gebunden zu haben. Nicht stolz darf er dagegen auf seine »Leistungen« als Autor sein. Denn das, was er mit Hermaphroditus und noch stärker nun mit Schuld und Bühne als vorgegebene Bühnentexte geliefert hat, ist — mit viel Wohlwollen — gerade noch unter der Rubrik »überflüssiger Schund« einzuordnen. Insofern wäre es für ihn über alle Maßen klug, ein Stückchen des ihm immanenten Größenwahns fallenzulassen und sich auf die Funktion des Regisseurs und auch — mit Einschränkungen — auf die des Bühnenbildners zu beschränken. Die Ergebnisse wären dann wahrscheinlich erfreulicher.

Das Hebbel-Theater, das dieses Mal wiederum kaum gefüllt war, scheint sich in einer Krise zu befinden. Denn trotz intensiver Werbung und nur dreitägiger Gastspieldauer interessiert sich niemand für diese Art von Theater. Bedenkt man das vorliegende Angebot der Staatstheater in dieser Stadt und die große Resonanz, welche das Dargebotene bei den Zuschauern hervorrief, so ist dies erstaunlich und bedauerlich zugleich. Ivan Stanev und seinem Ensemble stehen auf jeden Fall alle Möglichkeiten offen, demnächst nicht nur das Hebbel-Theater, sondern auch große Häuser zu füllen, da diese Truppe — wie wenige sonst — über ein erstaunliches Maß an Spielfreude und Experimentierlust verfügt — getreu dem Motto ihres Regisseurs: die Kindheit zu bewahren, da »Erwachsene entweder Verbrecher oder Feiglinge sind«. York Reich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen