Liebespriesterinnen und Todesengel

■ Eine Ausstellung Unter den Linden über die Erotik des Friedhofes, wo das Sterben schön scheint

Die Galerie des Instituts Français Unter den Linden präsentiert zur Zeit Arbeiten des Fotografen André Chabot. In feinsten Schwarzweiß- und Grauschattierungen läßt uns der Franzose die marmornen Sublimationen von Todessehnsüchten und Trauerspielen vergangener Generationen erleben. Auf europäischen Friedhöfen von Genua über Wien und Brüssel bis nach Kopenhagen spürte er sie wieder auf, die steingewordenen Ekstasen verzweifelt Trauernder, die Küsse vor dem Abschied ins Jenseits, letzte Umschlingungen der Toten.

Erstaunlicherweise scheinen diese ehernen Zeugnisse und Darstellungen ewiger Verbundenheit mit den Geliebten oder Familienangehörigen auf deutschen Gräbern selten zu sein. Sie fehlen zumindest in dieser Ausstellung völlig. Protestantischen Auftraggebern muß die Entrücktheit in Glauben und Trauer im Katholizismus von jeher suspekt gewesen sein, der nüchtern behauene Granitblock oder das polierte Marmorstück Ausdruck des Gedenkens an die Toten genug. Der Atheist und Mystiker des Eros und des Todes, Georges Bataille, schreibt »...alle Bitternis entspringt aus der Unmöglichkeit, die äußersten Momente, Lust und Tod, vollkommen zu vereinigen...« Genau dies versuchten die Steinmetze der europäischen Nekropolen, indem sie Szenen imaginierten, in welchen Jungfrauen ekstatisch in ihrer Trauer sich auf Sarkophage werfen, die Nacktheit ihrer gekrümmten Körper kaum durch zarte Schleier verhüllend, und Knabenpaare in verzücktem Gebet und homoerotischer Aura eins werden. Der »petit mort« von Liebenden manifestiert sich in der endgültigen Umarmung im Angesicht des Todes, in letzten zärtlichen Küssen von Ehemännern oder huldigenden, in Bewunderung erstarrten Blicken der Frauen auf ihre Männer.

So werden diese Skulpturen, Figurengruppen und kompletten Szenen aus Sterbezimmern auch zum Spiegelbild gesellschaftlicher Kodizes des Fin de Siècle, in denen der Frau die Rolle des hingebungsvollen Weibes und der aufopfernden Mutter bis in den Tod zukam, der Mann als Patriarch sich oder seiner Profession noch im Tode ein Denkmal setzen konnte. Die Epoche, in der diese Friedhöfe entstanden, war nicht nur die der fortschreitenden Industrialisierung und bedeutender Erfindungen der Moderne. Ihre Friedhöfe waren die »geweihten Räume« des 19. Jahrhunderts, private und nationale Kultstätten aller Konfessionen für die Toten.

Neben idealisierenden, zum Teil jugendstiligen Darstellungen von Liebesgöttinnen und Todespriesterinnen, die den Verstorbenen auf Harfe oder Lure die Melodie vom Tod spielen, und von Todesengeln, die mit starrem Blick ins Jenseits Gräber und Eingänge zu Gruften bewachen, gibt es auch die naturalistische Komponente: Beschreibungen von Agonien, oft symbolisiert im Tanz mit dem Sensenmann oder durch den Kuß eines Totenschädels, ausgemergelte Gestalten, vom nahen Ende gezeichnet, Sterbende, umgeben von ihren Angehörigen. In Stein gemeißelter Schmerz oder Todeskampf war vor 100 Jahren normal. Das Sterben gehörte wie selbstverständlich zu einem Kreislauf, der durch Familie und Religion bestimmt wurde. Erst heute wird der Tod tabuisiert, wird das Sterben zu einem aseptischen, klinischen Akt, der von unserer hedonistischen Gesellschaft als unangenehm und peinlich ausgegrenzt wird. Insofern sind Chabots poetische Fotografien nicht nur ästhetischer Genuß, sondern zeigen auch Artefakte einer vergangenen, vielleicht humaneren Epoche. Jeannine Fiedler

André Chabot: Erotik des Friedhofes. Fotoausstellung bis zum 24. November in der Galerie des Instituts Français de Berlin Unter den Linden 37, 1080 Berlin