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■ Der Kollaps * ARD, Dienstag, 19.30 Uhr

Seit dem Putsch im August ist die Situation in der zerfallenden Sowjetunion noch unübersichtlicher geworden. Für die Menschen dieser Staaten ist der Schritt zur Autonomie, zur eigenen Identität schwierig genug; für die westlichen Journalisten erscheint es gar unmöglich, aus der Konfusion eine klare Perspektive zu entwickeln. So hangelte sich auch die Reportage von Dirk Sager über den politischen Umbruch von einem Aspekt zum nächsten; von einer Analyse der Gründe für das Scheitern von Gorbatschows Reformplänen konnte jedoch keine Rede sein.

Im günstigeren Fall wäre dabei vielleicht ein Bericht herausgekommen, der aus der Vielfalt der Stimmen eine Momentaufnahme kristallisiert hätte, die der komplexen Wirklichkeit in der UdSSR noch am nächsten gekommen wäre. Aber der ZDF-Reporter hielt sich lieber bei der Vergangenheit auf, wahrscheinlich, weil sie ihm am sichersten erschien. Mit dem Hinweis darauf, daß die Zukunft eines Landes in seiner Geschichte begründet ist, liegt man selten falsch. Doch die Rückbesinnung auf den blutigen Weg der bolschewistischen Revolution blieb seltsam teilnahmslos. Die Kamera schwenkt durch leere Räume, Zellen, verfallene Baracken der Gulags. Sie fährt an Regalen entlang, die voller Akten stehen, und man ahnt schon, was der Kommentartext als nächstes verkünden wird: „Jeder Karton ein Schicksal“, aber dafür interessiert sich der Autor nicht, denn er versucht sich ja an dem Resümee einer fatalen Epoche stalinistischer Unterdrückung. Wenn man allgemein bleibt, ist man nicht automatisch allgemeingültig. Zu einer wirklichen Einordnung fehlt Dirk Sager der Überblick oder der Mut. Also bleibt es bei banalen Feststellungen. Zu den Zellen im Untersuchungsgefängnis des KGB erklärt uns der Film fast nichts, außer, daß fast nur noch der Sofaknick in den Kissen auf den Betten der Häftlinge fehle. Der Film schwebt im Diffusen, scheint nur vermitteln zu wollen, daß der Kommunismus ein politischer Irrweg war. Das alles sind Mosaiksteine, die in der Summe ein kollabierendes System zeigen, und doch vor allem eines ausdrücken — eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit des Autors gegenüber den Geschehnissen. Christof Boy