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Jelzin will Wahlen in Rußland verbieten

Moskau (dpa) — Boris Jelzin bekommt nicht genug: Bis zum 1. Dezember 1992 will der russische Präsident in seiner Republik keine Wahlen mehr zulassen. Der in Moskau tagende fünfte Kongreß der Volksdeputierten Rußlands soll dem Präsidenten zugleich das Recht einräumen, über die Besetzung der Exekutivorgane in den russischen Gemeinden, Städten und Gebieten persönlich zu entscheiden.

Außerdem will Jelzin Dekrete erlassen dürfen, die „formal den Gesetzen Rußlands und der Sowjetunion widersprechen“. Damit fordert Jelzin erneut eine Ausweitung seiner Machtbefugnisse. Erst am Montag hatte er angekündigt, auch das seit Wochen verwaiste Amt des Ministerpräsidenten übernehmen zu wollen.

Das Wahlverbot wird in der Beschlußvorlage mit den von Jelzin angekündigten radikalen Wirtschaftsreformen begründet. Jelzin will offenbar seine radikalen Reformpläne durch die von ihm direkt eingesetzten Vertreter vor Ort kontrollieren lassen. Außerdem wird den Parlamenten der — ehemaligen autonomen — Republiken in der Russischen Föderation nahegelegt, in dem gleichen Zeitraum auf Volksabstimmungen zu verzichten. In diesem Punkt ist der immer häufiger als „Zar“ bezeichnete Jelzin jedoch zu Zugeständnissen bereit: Die in diesen Republiken bereits angekündigten Präsidentenwahlen könnten durchgeführt werden.

Der jetzige Vorschlag Jelzins erweitert seinen schon einmal dem Parlament präsentierten Plan, die Chefs der Gebietsverwaltungen persönlich zu ernennen. Diesen hatte der Oberste Sowjet zurückgewiesen, worauf der Präsident sein Veto einlegte.

Nachfolger Jelzins auf dem Posten des Parlamentsvorsitzenden wird mit Ruslan Chasbulatow ein Vertrauter des Präsidenten. Der Kongreß der Volksdeputierten wählte am Montag abend den bisherigen stellvertretenden Parlamentschef mit einer Mehrheit von 559 Stimmen.

Sein schärfster Kontrahent, der Tomsker Jurist Sergei Baburin, der bereits im Sommer als Kandidat der Kommunisten die Wahl Chasbulatows verhindert hatte, lag mit 274 Ja- Stimmen abgeschlagen auf dem zweiten Platz.

Eine der wichtigsten Aufgaben des Parlamentschefs ist die Ernennung der Mitglieder des Verfassungsgerichts, die vom Kongreß der Volksdeputierten bestätigt werden müssen. Die rund tausend Deputierten berieten am Dienstag über die Kandidaturen der insgesamt 23 Anwärter für die 15 Plätze im Verfassungsgericht.

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