piwik no script img

Dubrovnik ist ohne Strom, Gas und Wasser

Seit 30 Tagen ist Dubrovnik von der Armee umzingelt/ In der Stadt mangelt es an allem, auch an Lebensmitteln/ Ein slowenischer Reporter hat die Blockade der Marine durchbrochen und berichtet aus der belagerten kroatischen Adriastadt  ■ Aus Dubrovnik Ivo Standeker

Die Straße, die sich die dalmatische Küste hinunterschlängelt und die kroatischen Städte an der Adria miteinander verbindet, ist an zahlreichen Stellen unpassierbar geworden. An strategisch günstigen Punkten sind oft Scharfschützen postiert, die jedes beliebige Fahrzeug ins Visier nehmen. Die Hafenstadt Zadar zum Beispiel kann man nurmehr über die Insel Pag erreichen, eine von Jagdfliegern durchlöcherte Brücke überquerend und dann über einen Feldweg der Küstenlinie entlang. Trotzdem ist die Straße jede Nacht dicht befahren. Irgendwelche Schleichwege scheinen die Lastwagenchauffeure immer zu finden, um der isolierten Bevölkerung der Küstenstädte, die sonst nur aus Urlaubsprospekten bekannt sind, Lebensmittel und Verpflegung zu bringen.

Nur nach Dubrovnik geht es nicht mehr. Seit nunmehr genau einem Monat ist die Stadt im Süden Kroatiens eingeschlossen. Die Küstenstraße ist auf beiden Seiten der Stadt militärisch gesperrt. Den Zugang vom Wasser her verhindert die Blockade der Marine. Im Süden Dubrovniks haben die Armee-Einheiten zuerst Cavtat überrollt, die Küstendörfer abgebrannt und sind über Kupari bis zum Hotel Belvedere, drei Kilometer vor der mittelalterlichen Festungsmauer der Stadt vorgedrungen. Im Westen haben sie Slano eingenommen und stehen nun vor den Bergen über Dubrovniks Hafen Gruz. Von dort aus beschossen sie am Samstag abend eine Fähre, die mit Hilfssendungen in den Hafen einlaufen wollte. Auch von hier aus sind die Mauern der historischen Altstadt zu sehen. Die Armee hat „die Perle der Adria“ eingekesselt. Das von Serben bewohnte bosnische Hinterland ist schon lange feindliches Gebiet. Nur noch Dubrovnik selbst und der Berg über der Stadt sind unter kroatischer Kontrolle.

Dubrovnik ist hermetisch abgeriegelt. Hermetisch? „Das Boot ist hier“, ruft mir in der Dunkelheit ein kroatischer Offizier irgendwo an der Küste zu, und schon bald sind wir auf hoher See, eine Gruppe kroatischer Freiwilliger, die den Verteidigern Dubrovniks zuhilfe kommen wollen, und ich, der der Außenwelt berichten soll, wie es in der Stadt aussieht. Auf der Halbinsel Babin Kuk, die bereits zum Stadtgebiet gehört, gehen wir an Land. Hier befinden sich die größten Hotelkomplexe der Stadt. Die meisten Hotels sind mit Flüchtlingen vollbesetzt, die schon am frühen Morgen in den Hallen herumstehen und nicht recht wissen, was sie tun sollen. Viele von ihnen sind, oft schon mehrfach, von einem Hotel ins andere übergesiedelt, um den Granaten zu entgehen. Jetzt hat dies keinen Sinn mehr, denn in jedem Hotel zeigt man einem zerstörte Stockwerke, und überall liegen Geschosse herum, die beim Aufprall nicht explodiert sind.

Längst sind die Hotels zu Zentren des gesellschaftlichen Lebens geworden. Inmitten der Flüchtlinge tummeln sich kroatische Soldaten und die in weiß gekleideten Beobachter der Europäischen Gemeinschaft. Schon aus den zahlreichen Zetteln an den Wänden spricht, daß hier Notstand herrscht: „Alle bewaffneten Personen werden gebeten, ihre Waffen an der Rezeption zu hinterlassen.“ Oder: „Mütter, Windeln kann man mit Hilfe eines flüssigen Waschmittels oder Schampoos auch mit Meerwasser reinigen, danach gut auswaschen. Hygiene-Dienst.“ Oder: „Es wird Unterricht für Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse organisiert, Auskünfte an der Rezeption des Hotels Argosy.“

Doktor Niko Viskovic, der für die ärztliche Betreuung von rund 3.000 der insgesamt 12.000 Flüchtlinge zuständig ist, versucht sich in Optimismus: „Als wir noch Gas hatten, war es einfacher. Wir konnten kochen, danach mußten wir eine Zeit lang mit Rohkost auskommen. Doch jetzt haben wir einige Herde an das Aggregat angeschlossen, und es geht wieder.“ Aber der Mangel an Wasser- und Nahrungsvorräten ist groß. Milchprodukte und Obst werden vom Roten Kreuz nur noch an Kinder ausgegeben. Und die müssen sich einen Apfel zu zweit teilen.

Viele Bewohner Dubrovniks können noch immer nicht glauben, was unter ihren Augen wirklich passiert. Immer wieder gehen sie in die Altstadt hinunter und sehen sich fassungslos den Schaden an, den Artilleriegeschosse angerichtet haben. Während die einen Holzverkleidungen hochziehen, um die im Freien stehenden Kulturwerte vor weiteren Granaten zu schützen, warten andere in den Nebenstraßen mit Plastikbeuteln in der Hand auf die ihnen zustehende Ration Wasser. Die Friseure haben Hochsaison. Zu Hause gibt es schließlich keinen Strom mehr, und viele sind es nicht gewohnt, die Klinge selbst an den Hals zu legen.

Kurz, das Leben geht weiter, und da es schon lange keine Zeitung mehr gibt, steht man auf der Stradun, der Hauptstraße der Altstadt, herum und unterhält sich mit Freunden und Bekannten, um das Neueste in Erfahrung zu bringen. „Dubrovnik kann nicht fallen“, sagt der Bürgermeister Petar Poljanic, „auch wenn die Armee einmarschiert, wird sie früher oder später die Stadt wieder verlassen müssen. Dubrovnik aber wird bleiben.“ Überall bilden sich kleine Gruppen. Irgendwo sogar eine ansehnliche Menschentraube. Aha, die Passagiere fürs nächste Flüchtlingsschiff werden registriert, obwohl noch keiner weiß, wann und ob überhaupt die jugoslawische Armee einen Transport erlauben wird. Die freundliche Dame, die Tickets für die Fähre verkauft, blickt nur auf die Dinar-Bündel, die sie am Tag einkassiert hat, und seufzt: „Ich würde es allen gerne in doppelter Höhe zurückerstatten, wenn sie nur hierbleiben würden.“

Die serbische Gemeinde in Du- rovnik ist nicht minder besorgt als alle Stadtbewohner auch. „Ich versuche allen klarzumachen, daß sie hier genauso gefangen sind wie unsere kroatischen Nachbarn“, sagt ihr Anführer Radomir Vukanovic, der in den Verhandlungen mit der jugoslawischen Armee umsonst beteuert, daß sie nicht befreit, sondern in Ruhe gelassen werden wollen. „Natürlich haben wir politische Probleme“, gibt Vukanovic zu, „aber jetzt ist Krieg, und da darf das nicht so wichtig sein. Jetzt müssen wir alles daran setzen, das gute Verhältnis, das zwischen allen Leuten in der Stadt, unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit, herrscht, nicht in Gefahr zu bringen, so daß wir auch nach dem Krieg noch zusammenleben können.“

Am Sonntag schließlich läuft die Fähre doch aus. Nur Frauen und Kinder sowie einige alte oder verletzte Männer sind an Bord. Männer im wehrfähigen Alter, das heißt hier zwischen 18 und 60 Jahren, würden von der Armee, die das Schiff sicher kontrollieren wird, ohnehin zurückgeschickt oder gar festgenommen. Sorgenvolle Blicke beim Abschied. Wird man wieder das Feuer auf das Schiff eröffnen? Abends, wenn die Dämmerung einbricht und die Polizeistunde schlägt, wird alles still. Da kommt man bei einer Tischrunde, versammelt um Konservendosen, auch mal auf die Außenwelt zu sprechen. „Das Ausland glaubt offensichtlich, Dubrovnik sei nur dieses tausendjährige Gemäuer“, erregt sich Damir Hartman, ein Ingenieur, der sich jetzt an der Organisierung des Zivilschutzes beteiligt. „Daß ringsherum alles zerstört ist, interessiert die gar nicht. Daß wir es sind, die den Geist Dubrovniks am Leben erhalten, scheint sie nichts anzugehen.“ Dann lächelt er bitter: „Aber ich weiß, wie man sie zwingt, umzudenken: der Yachthafen von Dubrovnik, der von den Tschetniks total vernichtet wurde, das muß man ihnen erzählen, den reichen Bootsbesitzern in aller Welt. Daß ihr Eigentum hier willkürlich beschädigt wird. Darüber werden sie sich dann endlich aufregen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen