: Bestenfalls gut gemeint
■ Die Spree-Bühne spielt »Kiosk« in der Rost-Bühne
Was haben eine erfolgreiche türkische Modedesignerin, ein vulgärer Zeitungskioskbesitzer und ein gestrandeter Schauspieler gemeinsam? Nichts! Sie könnten sich im Kiosk begegnen. Aber bemerken würden sie sich deswegen noch lange nicht. Oder etwa unterhalten. Höchstens in einem sozialromantischen Groschenroman voll Liebe, Schmerz und Eitelkeit. Genau so einen hat sich die Spree- Bühne zusammengezimmert: Kiosk heißt ihre neue Produktion und ist voll von Betroffenheit, Klischees und unglaubwürdigen Dialogen.
»Gut gemeint« ist das höchste Zugeständnis, das man diesem gequirlten Quark gerade noch machen möchte. Der Untergang der kleinen Tante-Emma-Läden wird angeprangert — im Zusammenhang mit den explodierenden Mietpreisen, natürlich, da hat man dann sofort den Aktualitätsbezug. Diese Läden sind »Orte der Kommunikation, der Begegnung und für einzelne sogar der einzige Platz, wo sie als Menschen überhaupt noch wahrgenommen werden«, so steht es im kostenlosen Programmzettel. Spätestens nach dieser Lektüre möchte man alles andere tun, als sich das Stück ansehen. Schlafen, zum Beispiel, und hoffen, daß in der Zwischenzeit neue Themen für die Bühne gefunden werden.
Als unfreiwillige Komödie ist der Text von Ilja Muromez und dem Ensemble gerade noch zu gebrauchen: Eberhard (Matthias Zelic) ist ein Kioskbesitzer, wie aus Bauholz gehobelt — Jogginghose, Schlurflatschen und große Klappe. Seinen Kunden schwärmt er von Ursel, seiner Frau mit den Riesenmöpsen, vor oder zeigt ihnen die neueste Pornokollektion. Walter (Herry Grünwald) läßt sich das gern gefallen, schließlich ist er arbeitsloser Schauspieler und hat sowieso nichts Besseres zu tun. Um seine innere Leere für jeden deutlich zu machen, muß er ein Bier nach dem anderen trinken und verbitterte Wortgefüge stammeln. Da bricht die türkische Modedesignerin Yesim (Gülcan Gül) in die trostlose Gemeinschaft ein — gutaussehend, erfolgreich, intelligent. Sie läßt sich von Walter zu einem Flachmann einladen und charmieren. Kaum vorstellbar, aber für die Texter kein Problem, denn Yesim kommt vom Land und darf ab und zu »manchmal fühle ich mich so richtig fremd hier« sagen, und schon paßt sie in die abgewrackte Runde. Die drei lesen sich ihre Horoskope vor, faseln über Gott und die Welt und die Politiker, die man alle in einen Sack stecken kann, und essen Bockwurst mit Senf.
Mit zunehmendem Alkoholpegel eskalieren dann die Ereignisse: Eberhard schnaubt sich immer häufiger die Nase — wobei der Schauspieler peinlichst darauf bedacht ist, das zurückbeförderte Taschentuch immer schön aus der Jogginghosentasche zipfeln zu lassen, um den Eindruck des schmierigen Kioskbesitzers nicht zu verwischen —, gesteht dann, daß ihn Riesenmops-Ursel schon vor fünf Jahren verlassen hat und er es seitdem mit einer Bumspuppe treibt. Die hat dann auch einen demonstrativen Kurzauftritt. Jetzt muß auch Walter seine Karten auf den Tisch legen, er hätte es vor ein paar Jahren fast zu einem Engagement am Staatstheater geschafft, wenn da nicht ein dramatischer Texthänger gewesen wäre... Im Kiosk darf er es noch mal probieren, wieder hängt er und nagelt aus Wut fast Eberhard an die Wand. Yesim hat ihr Nähzeug zwar nicht dabei, will sich aber auch präsentieren und singt dann eben, was soll's auch, Modedesign oder Gesang, ist doch alles irgendwie dasselbe. Die Dialoge sind inzwischen gänzlich auf die Worte »Möpse«, »Wilhelm Tell« und »fremdfühlen« beschränkt, ein gemeinsames Gespräch kommt nicht mehr zustande. Für einen knalligen Schluß erliegt Yesim einem hysterischen Lach-Wein-Anfall und schmeißt mit Zeitungen um sich.
Der Zeitungskiosk als vergänglicher, sentimentaler Ort der Begegnung und Kommunikation — das kann in diesem Fall doch nur ironisch gemeint sein und eine Hymne auf anonyme Supermärkte und Einkaufszentren nach sich ziehen. Denn wer möchte schon einen derart hohen Preis für ein paar Zigaretten oder Zeitungen zahlen? Die Spree-Bühne zeigt, wie ein altbackenes Thema kombiniert mit dummen Klischees und mittelmäßiger Schauspielkunst schnell zum Eigentor werden kann. Anja Poschen
Rost-Bühne, Knesebeckstraße 29, bis 2. 12. fr.-mo., jeweils 21 Uhr
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