: Auf Biermann verzichten
■ Von der Hamburger Elbchaussee in die Prenzelberger Czernikauer Straße
Prenzlauer Berg. Offensichtlich muß man in Berlin Wolf Biermann heißen, um unbürokratisch und schnell zu einer preisgünstigen Wohnung im legendären Prenzlauer Berg zu kommen. Nicht einmal ein Wohnberechtigungsschein (WBS) mit Dringlichkeit brauchte der preisgekrönte Liedermacher vorzulegen, als er Ende Juli bei der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg (WiP) seinen Mietvertrag unterschrieb. Während 70.000 Ostberliner nach einer Wohnung Schlange stehen, hat Wolf Biermann nun gleich zwei: eine beschauliche Hamburger Villa nahe der Elbchaussee und ein »bescheidenes« 131-Quadratmeter-Quartier im Arbeiterbezirk in der Czernikauer Straße 22/I, zwei Treppen, Vorderhaus. Alles in allem kostet das 520 Mark monatlich.
»Auf den können wir hier verzichten«, findet ein Obermieter. Der Geschäftsführer der WiP, Klaus-Jürgen Fritsche, ist da anderer Meinung: »Wir sind glücklich, daß Biermann wieder in den Prenzlauer Berg ziehen wird.« Er begründete dies mit der Vergangenheit des oppositionellen Liedermachers: Biermann gehört im Prenzlauer Berg einfach zum Milieu. »Prenzlauer Berg ist da, wo am meisten Berlin ist, da gehört Biermann hin.« Biermann habe während seiner Wohnungssuche eine Familie mit mehreren Kindern bei der WiP ausgestochen, die sich nach Mieteraussagen das besagte Domizil ebenfalls angeschaut hätte, wird gemunkelt. Fritsche bestreitet dies. »Hier hat sich vor Biermann kein spezieller Anwärter für diese spezielle Wohnung gemeldet.« Der WiP-Geschäftsführer hofft, daß Biermann in der Czernikauer Straße seinen Hauptwohnsitz nehmen wird. Warum dieser immer noch nicht eingezogen sei? Fritsche lacht: Handwerker hätten sich geweigert, eine Zwischenwand in der Wohnung zu entfernen, weil sie davon überzeugt seien, daß diese Asbest enthalte. Trotz großer Bemühungen sei es bislang seiner Behörde nicht gelungen, jemanden zu finden, der es mit der angeblich verseuchten Wand aufnehme. Alle Handwerker hätten zur Bedingung gemacht, daß die Bausubstanz erst von einem Gutachter auf dieses giftige Material hin untersucht werden solle. Einen solchen Spezialisten zu finden ist der WiP bislang noch nicht gelungen. Der Grund: Im Moment gibt es mit der Asbestüberprüfung von Kindertagesstätten Wichtigeres zu tun, als in Biermanns Privatwohnung nach Atemwege schädigende und krebserregende Fasern zu fahnden. Somit muß sich der unlängst mit dem auf 20.000 Mark dotierten Mörike-Preis geehrte Künstler noch ein wenig mit dem Umzug gedulden, ehe er Berliner Smog mit Hamburger Elbeluft tauschen kann. Und daß, obwohl er die Ossis eigentlich »nicht mehr mag«. plu/abc
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