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Eine antike Spurensuche im Zwillingsstaat

■ Raffael Rheinsberg in der »Galerie vier« und im Atelier des Künstlers

Es ist sofort Eintritt in ein merkwürdiges Glück. Kaum hat man den Portikus der Galerie betreten, in der sich eine aus runden Steinen zusammengesetzte Säule erhebt, erfährt man, daß man gelandet ist. In jenem Maß von ins Wiedererkennbare geholter Fremdheit, daß Glück heißt.

Eine Säule ist mit arabischen Schriftzeichen versehen. Auf manchen Quadern sieht man ein Frauenprofil, eine Hand, die etwas zum Munde führt: dicht gerolltes Verpackungsmaterial, aluminiumbeschichtete Kunststoffhüllen zur Antibabypillenkonservierung, in der DDR gefertigt.

Raffael Rheinsberg hat sich einen Spaß mit den DDR-Fundstücken erlaubt. Spürhund auf den Fährten von unverwechselbarem DDR-Material, hat er das Gesammelte durch einfache Ordnung, durch Ent-Fremdung mit Hilfe des Namens, ins vielseitig Deutbare gerückt. Er hat dem achtlos Weggeworfenem eine ironische Aura verliehen — das macht den Witz dieser Ausstellung aus.

Rheinsberg hat die DDR durch den antiken Mythenkanal gejagt. Da gibt es, wenn man die Säulenhalle verläßt, das Zerberus-Tier aus Krokodilshäuten, das sich mit seinen Kofferngliedern an den Wänden entlang bewegt. Es erschaudert offenbar vor dem »goldenen Schnitt«, einer Reihe von Ekalit-Stanzplatten aus Bittersfelde, runden und eckigen braungoldenen Hartgummiplatten, die der Künstler an der gegenüberliegenden Wandseite aufgestellt hat. Hat man das Ungeheuer überwunden, tritt man in ein zeichenbestücktes Wunderkabinett ein. Am Boden gleich drei große Ringe, vom Künstler »Die Höhe und die Tiefe« genannt: magische »stone henges« aus Kaminziegelsteinen, die über an beiden Wandseiten angebrachten Bildreihen zu deuten sind. Links gelbe und blaue DDR-Fabrikschilder im Wechsel, rechts nette Pralinchen- Pornographie. Der Eintritt in die Kreise kann beispielsweise besagen: Vorsicht Feuergefahr! Ätzende Stoffe! Gasmaske aufsetzen! Gummistiefel anlegen!

Ausbalanciert wird dieses Höhen- und Tiefengefälle auf der anderen Galerieseite durch einen einzigen Raum: ihn durchzieht ein gelber Fluß. Aneinandergelegte DDR- Postbuchstaben, zwei Frottagen aus dem Speisewagen der M.S. Sassnitz schließen sich als Fensterdurchblicke auf die vergangene DDR-Welt an. Die zu großen Quadraten zusammengesetzten Mitropaservietten enthalten die Insignien eines Transits nach Rügen: die DDR-Oberfläche aufs Zweidimensionale in Serienform runterschraffiert.

Die wirkliche Magie lagert allerdings bei Rheinsberg zu Hause. Im Wedding sind die großen Objekte: sowjetische, gewachste, braunschwarze Einkaufstüten als Riesencollage an einer Wand, eine aus Ziegelsteinen erstellte »Midtown«-Wolkenkratzerstruktur am Boden, eine Angebotstafel für DDR-Schaumstoffmuster mit Artikelnummer, vom Künstler »Mondrian« genannt, und schließlich das Allerbeste: eine Filzstiefelsammlung, von einem fünfziger-Jahre-Schriftzug »Oranienburg« gekrönt. Stiefel einer sowjetischen Strafkompanie: übereinander gelegt, abgetragen, an den Sohlen teils durchgewetzt, mit einzelnen Papyrossi-Schachteln, die aus den Schäften hervorlugen, geben sie von selbst ein verallgemeinertes Lager-Bild ab. Rheinsberg nennt sie natürlich »Josef«: man darf nach eigener Meinung Stalin, Beuys und/ oder die Bibel assoziieren.

Und dann sind da noch die DDR- Hydranten, Hydrantenaufsetzer eigentlich, ausnahmsweise nicht der TGL-Norm unterworfen, weswegen sie in der gruppenmäßigen Zuordnung von 1 bis 45 tatsächlich individuell aussehen. Fünfundvierzigmal rot und fünfundvierzigmal anders, kegelförmig geformt und in nette Marschform gebracht: was ließe sich für ein besseres Bild erstellen für die Bürgersubstanz unserer Zwillingsnation? Rheinsberg lehrt das Sehen des Gegenstandes. Nach dieser Ausstellung hat man auf jedes Eisenteil wieder Lust. Man würde gerne mit ihm durch die Ex-DDR-Flure streifen. Nicht mitnehmen, nur benamen: wer findet die besten Titel für die Fundstücke am Weg? Michaela Ott

Galerie vier, Wilhelm-Pieck- Straße 25, Atelier Rheinsberg, Gerichtstraße 12, bis 12. Dezember

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