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Welche kommt als nächste dran?

■ Leben und Sterben lassen auf dem Berliner Tageszeitungsmarkt/ Während alle auf die große, feine Überregionale warten, boomt 'Super‘, und die Ostzeitungen werden eingestellt

Der Markt der Tageszeitungen in Berlin, der vor der Wende auf beiden Seiten ruhig und abgeschottet vor sich hin dümpelte, ist in Bewegung.

Die riesigen Abo-Auflagen der überregionalen Massenzeitungen (Ost) kommen vom freien Fall gerade in eine halbwegs stabile Position. Sie haben nur noch einen Bruchteil ihrer früheren Auflage. Und der westliche Markt, früher gekennzeichnet durch das Springer-Monopol von 80 Prozent plus 15 Prozent 'Tagesspiegel‘, wird heftig aufgewühlt — nicht nur vom neu gegründeten Dumping- und Drecksblatt 'Super‘ (Gesamtauflage etwa 450.000). 'Bild-Berlin‘ soll von 'Super‘ bereits eingeholt worden sein.

Vom Gesamtberliner Markt von etwa 1,5 Millionen Exemplaren hält Springer momentan 58 Prozent. Um den Rest des Kuchens tobt ein heftiger Verteilungskampf, mit Werbekampagnen, gnadenlosen Niedrigpreisen, Blut&nackter Haut&roten Socken sowie neuen Sonntags- und Montagsausgaben ('Tagesspiegel‘, 'Morgenpost‘). Auf dem Ostberliner Markt beginnt sich die Springersche 'Berliner Morgenpost‘ erst langsam durchzusetzen. Die alteingesessene 'Berliner Zeitung‘ von Gruner und Jahr/Murdoch verkauft im Westen dagegen täglich bereits 20.000 Exemplare, montags sogar 30.000. Allerdings ist die Gesamtauflage der 'Berliner‘ noch mal um etwa 50.000 gefallen und pendelt sich jetzt knapp unter der 300.000er- Marge ein. Von einer »'Frankfurter Rundschau‘ des Nordens« oder einer deutschen »'Washington Post‘«, wie Herausgeber Erich Böhme seine Zeitung gerne hätte, kann noch längst keine Rede sein. Viel mehr entsteht oft der Eindruck, die 'Berliner‘ setze gerade auf Provinzialität.

Der 'Tagesspiegel‘ hat trotz einer 100-Millionen-Investition in neue Technik, neues Layout und Format sowie eine starke Aufstockung des journalistischen Personals zu kämpfen. Die einst einzige liberale Alternative zu Springer tut sich im Osten noch schwer. Vom dritten Quartal 1990 zum dritten Quartal 1991 verlor der 'Tagesspiegel‘ sogar an Auflage. Sie liegt nun bei etwa 130.000. Nur am Wochenende hat der 'Tagesspiegel‘ leichte Gewinne zu verzeichnen. Geschäftsführer Lothar C. Poll rechnet mit einem Aufschwung, wenn »das Lesen wieder wichtiger wird als die Existenzfragen«. Wegen der »vermeintlich größeren Auswahl« würden die Leser auch mehr ausprobieren. Poll dementierte Gerüchte, daß über einen Einstieg der 'Süddeutschen Zeitung‘ verhandelt werde, weil sich die Zeitung mit den Investitionen übernommen habe.

Während wohl noch lange auf die große überregionale Tageszeitung aus Berlin gewartet werden muß — bislang hat die taz das Monopol — und die Mauer im Leserverhalten noch weiterbesteht, geht das Zeitungssterben weiter. Der 'Morgen‘, einst LDPD-Organ, dann von Springer übernommen, ging zuerst heim in die ewigen Gründe der Druckerschwärze. Am 11. Juni dieses Jahres wurde das wegen seiner hintergründigen journalistischen Leistungen gelobte und preisgekrönte Blatt von dem schwarzen Pressekonzern eingestellt. Zwar waren noch nicht einmal 20 Millionen Mark investiert worden, doch paßte das liberale Blatt nicht so ganz ins sonstige Angebot und lag nur noch bei 25.000 Exemplaren Auflage. Springer dachte da wohl lieber an den — inzwischen wohl aufgegebenen — Umzug seines hochsubventionierten Flaggschiffs 'Welt‘ in die Hauptstadt.

Auch die speziell für Ostdeutsche produzierte linksorientierte Boulevardzeitung 'Super-Ossi‘ konnte sich nicht am Markt halten. Die neueste Zeitungsleiche ist das einstige Gewerkschaftsorgan 'Tribüne‘, deren Erscheinen Ende September eingestellt wurde. Die Auflage war von 400.000 auf 50.000 gesunken. Schon zu Jahresbeginn hatte der alte Verlag die 'Tribüne‘ einstellen wollen. Die Redaktion jedoch wiedersetzte sich und fand in dem Bauunternehmer Hartmut Lehmann, der das Monatsblatt 'Wirtschaft und Markt‘ herausgibt, einen neuen Verleger. Doch auch der konnte das sozialpolitisch orientierte Blatt nicht retten. Die Abonnentenkartei wurde von der ehemaligen Zeitung der DDR-CDU 'Neue Zeit‘ übernommen, hinter der die FAZ steht. Deren Auflage liegt nun bei 62.432 Exemplaren — Werbeanzeigen findet man kaum darin.

Welche Zeitung ist als nächste dran? Und: Wo bleiben die Leser? Das sind die Fragen, die man sich im Berliner Zeitungsgeschäft stellt. Während die zweite Frage von den Berliner Kommunikationswissenschaftlern noch nicht beackert wurde, ist eine Antwort auf die erste wohl nur eine Frage der Zeit. In höchster Not ist das von der Treuhand drangsalierte 'Neue Deutschland‘, dessen Auflage einst bei stolzen 1,5 Millionen lag und nun noch knapp 100.000 beträgt. Trotz drastischen Personalabbaus fährt das Blatt Verluste ein und braucht dringend Millionen aus der Parteikasse, die die Treuhand nicht freigibt.

Auch das 'Volksblatt‘ in Spandau (20.000 Exemplare), bei dem Springer eingestiegen ist, verliert an Auflage — trotz neuem Layout und einer Wiederbesinnung auf Spandau und das Havelland. Nicht ganz einfach dürfte die Zukunft auch für die 'Junge Welt‘ (120.000 Exemplare) werden, die einst über eine komfortable Auflage von 1,6 Millionen verfügte. Die 'Junge Welt‘ soll in Ost- Berlin 80.000 Exemplare absetzen. Natürlich muß auch die taz, geschüttelt von internen Grabenkämpfen um die Zukunft in Form einer Genossenschaft oder mit einem Großinvestor, kämpfen. Der Höhenflug mit der eigenen DDR-Ausgabe ist beendet und die Auflage in West-Berlin sinkt. Die verkaufte Gesamtauflage fiel vom zweiten zum dritten Quartal 1991 um fast 16.000 Exemplare. Dennoch werden die vielen schon geschriebenen Nachrufe in den Schubladen verschimmeln müssen. Hans-Hermann Kotte

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