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PRESS-SCHLAGGerd Müller lebt!

■ Die sexuelle Enthaltsamkeit des Mittelstürmers im Wandel der Zeiten vor des „Bombers“ 46.Geburtstag

Lassen Sie mich zuerst ein paar Worte zu obiger Unterzeile verlieren: Sie ist natürlich genial, denn erstens treibt mir das Wörtchen „sexuell“ jede Menge Leser zu. Leser, die darauf hoffen, daß jene angesprochene Enthaltsamkeit zwar in der Titelzeile auftaucht, im Text selbst aber aufgegeben wird. Zweitens dürfte ein anderes Wort eine noch viel größere Sogwirkung haben und es all jenen unmöglich machen, schnöde weiterzublättern, die von der Fasznation der Lederkugel ergriffen sind. Es ist einer der mythischsten Begriffe jenes Proletensportes: MITTELSTÜRMER.

Der Ausgangspunkt der Geschichte war, daß 'Sport-Bild‘ die „fünf besten Bundesliga-Mittelstürmer aller Zeiten“ küren ließ. Bevor ich die „glorreichen Fünf“ verkünde, ein Wort zur Jury: Die bestand aus dem Franz, klaro, dann aus dem zweitbesten deutschen Fusselballer aller Zeiten, Günther Netzer nämlich, und schließlich einem gewissen 'Sport-Bild‘ höchstselbst. Die Reihenfolge der drei „Experten“ dissonierte verständlicherweise etwas auf den Plätzen sechs bis zehn. Selbst ich habe Probleme, für einen Klinsmann (Stuttgarter Kickers) oder einen Dieter Hoeneß (VfR Aalen) ein geeignetes Plätzchen zu finden.

Auf der Liste stehen dann auf den ersten fünf Plätzen: Fünfter: Hrubesch, Horst. Dachdecker aus Friesland, dann Rot-Weiß Essen, für seine zwei Tore im 80er EM-Finale gegen Belgien, den Elfer von Sevilla zwei Jahre später, sowie das langjährige Tragen des Kosenamens „Ungeheuer“. Vierter: Fischer, Klaus. Glasbläser aus Zwiesel, dann Schalke 00, für seine unzähligen Spottschau-Tore des Jahres, allesamt blitzsaubere und bildschöne Fallrückzieher, sowie einen blitzsauberen und bildschönen Meineid im „Bundesligaskandal“, dem übrigens auch ein Rückzieher folgte. Dritter: Völler, Rudi. Spucknapf aus Hanau, dann München 1860. Begründung der Jury: In Italien zum genialen Täuscher (italienische Römerin gegen deutsche Ehefrau) gereift. Zweiter: Seeler, Uwe. Tankstellenbesitzer aus Deutschland. Begründung: siehe Klammer.

Und Platz eins, tatata: Müller, Gerhard. Steakhausbesitzer aus Nördlingen, später den Fort Lauerdale Striker. Der „Bomber“ und unbestritten der gefürchtetste Gesprächspartner, der je in einen Sportstudiostrafraum eindrang. Hauptgrund für die ungefährdete Spitzenstellung Müllers aber sind seine Verdienste um die Aufklärung einer bis in die 70er Jahre als Tabu behandelten Problematik: Die sexuelle Emanzipation des Mittelstürmers.

Das änderte sich, als Gerd Müller kam. Dessen Fähigkeit, hochkomplizierte Diskurse philosophischer Art auf einen einfachen, aber genialen Nenner zu bringen, sollte eine Revolution nach sich ziehen. Müller sagte: „Enthaltsamkeit? Weiß ich nicht. Hauptsache, ich bumse meine Tore — so oder so!“ Der Mittelstürmer war fortan entmystifiziert, hatte sein übermenschliches, heiligenähnliches Ansehen im Zuge der Emanzipation seiner körperlichen Bedürfnisse einbüßen müssen.

Denn bevor Müller kam, in den Sechzigern, wollten eben noch alle Buben Mittelstürmer werden, trotz des Keuschheitsgelübdes. Heute aber, in den enthemmten Neunzigern, will keiner mehr Mittelstürmer werden, nicht ums Verrecken. Mehr noch, es gibt überhaupt keine Mittelstürmer mehr. Selbst Rudi Völler, der zu Beginn seiner Laufbahn noch alle Attribute eines Mittelstürmers trug, ist nach Kennenlernen seiner Römerin nur noch auf den Flügeln unterwegs.

So lege ich jene alte und zerkratzte Single auf, die — obwohl nie ein echter Hit — mein Leben nachhaltiger beeinflußt hat als irgendeine andere. „Dann macht es bumm!“ krächzt dann jener schwäbische Weberlehrling und spätere Florida-Grillstubenbesitzer. Ohne ihn — kein Zweifel — wären aus mir und uns allen lauter Mittelstürmer Herbergscher Prägung geworden. Danke, Gerd Müller, du hast uns davor bewahrt. Peter Unfried

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