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Eine Art VW der Literatur

■ Alban Nikolai Herbst las aus „Wolpertinger oder die Farbe des Blau“

„Ich, den man den Lauscher nennt, den Vergesser“, so spricht eine der Erzählfiguren des Romans „Wolpertinger oder das Blau“, aus dem der Frankfurter Broker und Schriftsteller Alban Nikolai Herbst am Samstag im Ambiente las. Einen humoristischen Roman habe er geschrieben (1600 Seiten lang ist die gekürzte Fassung), einen Geisterroman, ein Computerbuch, behauptet der Autor.

In nahezu ungebrochenem Redefluß liest er und leist, einer Art VW der Literatur, eineinhalb, zwei, zweieinhalb Stunden ab halb neun; um zehn geht der erste, um halb elf flüchten zwei weitere. Aber die anderen, erstaunlich, bleiben da. Sind es 15 oder 20? Man versucht, sich während des Vortrags anderswo zu orientieren, zählt die HörerInnen wie Schäfchen vorm Einschlafen. Aber es schläft niemand ein. Eine vergißt komplett ihre Himbeertorte, hebt nur bisweilen, die Lider halb über die Augen gedeckt, den Teller und setzt ihn völlig geräuschlos wieder auf.

Und Herbst, unerbittlich, liest weiter. Von Geistern erzählt er; eine uferlose Gerichtsverhandlung um einen Holunderbaum, einen schrecklich dicken Mann, der alledem vorsteht, und einen Romanhelden, der mich an mich selbst erinnert. Ich, den man den Lauscher nennt. Und Frauen, seltsame Frauen, flüchtig und aggressiv, die mich beschimpfen, die den Dicken beschimpfen und irgendetwas von Seele, was die Figuren des Romans ihrerseits als Kitsch denunzieren.

Worauf ist Verlaß? Welch eine Sprache ist das, die Herbst uns zumuten will? Ist es neunzehntes Jahrhundert, zwanzigstes? Manchmal klingt es barock, dann nach Schlegel, ein eigenwilliger Tonfluß, den ich nicht fixieren kann und der mich, kaum ist es mir gelungen, davon wegzudenken und wieder zur Himbeertorte zu starren, unerwartet abermals packt. Ärgerlich ist das, gleichzeitig angenehm. Was habe ich mit all der Fantasy zu schaffen?

Herbst liest weiter, auf eine halb arrogante, halb leidenschaftliche Weise, versucht, sein Wasserglas in die Hand und einen Schluck zu nehmen, aber es gelingt ihm nicht, denn ein wiederneuer Satz drängt sich dazwischen. Die halbe Pause, die er machte, unterbricht sich selbst. Und ich kämpfe gegen das Fernsehen an. Eineinalb Stunden, ja, das ist man noch leidlich gewöhnt, dann fällt man durch, die Aufmerksamkeit läßt nach. Und dann, plötzlich, einvernehmliche Blicke von fremd zu fremd, schnell, für Sekunden, eine Art kollektiver Hör-Rausch, ein Sackenlassen der Realität, die Sätze strömen durch den Körper — plötzlich hört er auf. „Erzähle niemals, wie sie sich liebten. Denn darüber, hörst du? spricht man nicht.“ Hält einfach ein, der Herbst.

R.P.

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