piwik no script img

Die Macht der Therapeuten

■ Sexueller Mißbrauch in der Praxis: Berufsverbot gefordert

Berufsverbot für TherapeutInnen, die ihre PatientInnen sexuell mißbrauchen: Das haben 60 Juristinnen, Psychologinnen und betroffene Frauen auf einer bislang einmaligen Fachtagung „Macht und Verführung — Grenzverletzungen in Therapie und Beratung“ am Freitag in Oldenburg gefordert. Veranstaltet wurde die Tagung von einer Arbeitsgruppe betroffener und Oldenburger Fachfrauen aus norddeutschen Gleichstellungsstellen, der Arbeiterwohlfahrt Weser-Ems und der Uni Oldenburg.

In ihrer Abschlußresolution kritisierten die Teilnehmerinnen das krasse Geschlechter-Mißverhältnis unter den BeraterInnen öffentlicher Anlaufstellen: Obwohl bislang deutlich mehr Frauen in die Beratungen kämen, überwiege in den Anlaufstellten der Anteil der männlichen Berater.

Sexueller Mißbrauch an PatientInnen (die Opfer sind in den überwiegenden Fällen Frauen) wird noch stärker tabuisiert als der an Kindern. „Dabei sind die psychischen Folgen durchaus vergleichbar mit denen bei sexuell mißbrauchten Kindern“ weiß die Bremer Psychotherapeutin Dr. Elisabeth Pahl. „Sie reichen von Verwirrung und Depressionen über schwere psychosomatische Störungen bis zum vollständigen Verlust des Selbstwertgefühls und Suizid.“ Systematisch für den Grad der Tabuisierung in Deutschland ist der Mangel an wissenschaftlichen Untersuchungen. Amerikanische Studien haben können belgen, daß bis zu 20 Prozent aller anerkannten Therapeuten und etwas drei Prozent der Therapeutinnen sexuelle Beziehungen zu PatientInnen haben.

„Sexuelle Übergriffe sind Körperverletzungen“, sagt Diplom- Psychologe Helmuth Stang von der AWO-Nordenham. „Der Therapeut mißbraucht seine Macht. Sexuelle Anziehung oder gar echte Zuneigung spielen in solchen Verhältnissen wenn überhaupt nur eine zweitrangige Rolle.“ Der Therapeut dürfe auf keinen Fall der „Versuchung“ durch eine Patientin erliegen , die sich einbildet, in ihn verliebt zu sein. In der klassischen Psychotherapie komme das nur allzu oft vor.

Stattdessen sollte der Therapeut das Problem im Gespräch offen thematisieren und seiner Patientin vorschlagen, eineN andereN TherapeutIn aufzusuchen. Grundsätzlich, so regte Stangs Auricher Kollege Werner Meyer- Dieters an. Männliche Therapeuten sollten verstärkt mit Männern, auch mit Tätern aus den eigenen Reihen, arbeiten. Von den 60 TeilnehmerInnen des Kongreßes waren 10 männlich.

Die TagungsteilnehmerInnen hatten einen ganzen Katalog von neuen Fragestellugen zu beackern: Wie können sich TherapeutInnen selbst und ihre KollegInnen kontrollieren? Wie können Prävention und Hilfsangebote effektiv eingesetzt werden? Insgesamt bleiben aber mehr Fragen offen, als gelöst werden konnten, und deshalb soll die Tagung bald fortgesetzt werden. Isabelle Yeginer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen