: DIE FÜNFTE GEWALT — WEGE DURCH DEN MEDIENDSCHUNGEL Von Ben Vart
Für den parfümierten Gockel in teurer Gewandung, der zwar lesen, aber nichts verstehen kann, lockt nicht nur der aus den USA impo(r)tierte Zeitschriftentitel Esquire mit einer vermeintlich absatzfördernden Schlagzeile („Abschied vom Softie“), sondern auch das Konkurrenzprodukt Männer Vogue mit einer Artikel-Ankündigung auf der Bobele-geschmückten Titelseite: „Softie go home!“ Ebensoviel Lachfutter bietet hier das in diesen Publikationen übliche „Editorial“ benannte Seite-3-Geschwätz. In diesem Fall bemüht MV-Chefredakteur Michael Hopp sein Kleinhirn (= kleines Hirn) und läßt sich, mit nur monatelanger Verspätung, über ein besonders aufsehenerregendes „Benetton“-Werbemotiv (ein frisch geborenes Baby samt Nabelschnur, Schleim und Blut) aus: „Ist die Benetton-Kampagne Kunst, Popkunst, große Kunst — auf massenmedialer Ebene?“ Nur wo Kunst draufsteht, ist auch Kunst drin. Also keine Kunst, sondern Realitätsabbildung in schlichter, fast brechtscher Schönheit. Doch Michael Ex und Hopp spinnt seinen dünnen Faden weiter: „Aber was ist die Botschaft?“ Oder: Was will der Dichter uns damit sagen? „Liebe? Friede? Eierkuchen?“ Viel besser: Mutterkuchen.
Andere Menschen, zwar genauso schlichte wie die Klientel der Hochglanz-Zeitschriften, ansonsten aber einkommensschwächer und älter, werden hierzulande mit 'Readers Digest‘ und Fernsehzeitschriften abgespeist. Für die Zeit zwischen „Drombuschs“ und „Derrick“ bekommt die meist denkfaule Klientel Kreuzworträtsel und Reportagen zum Verständnis einer undurchschaubaren Welt geboten: „Die Angst vor noch mehr Haß und Gewalt“ befällt ja heutzutage besonders Angehörige jener Generation, die vor einigen Jahrzehnten, freudig und mit einem satten „Sieg Heil“ auf den Lippen, fremde Territorien völlig gewaltfrei überzogen, heute aber, bei jedem leger gekleideten, manchmal auch nachlässig frisierten Jungmenschen den Gewaltverbrecher vermuten. Aber welche Gewalt- Themen will TV Hören und Sehen denn diesmal besonders herausheben? Die Titel-Vorzeile gibt Aufschluß: „Asylanten — Autoverkehr — Abtreibung“. Diese gekonnte Zusammenstellung, bei der einem, trotz TV, Hören und Sehen vergehen kann, ist schwer preisverdächtig. Für den Alfred-E.-Neumann-Preis. MAD, übernehmen Sie.
Schön, daß Kollegen bei 'Spiegel‘ und 'Zeit‘ auch Fachzeitschriften wie 'Kirche intern‘ lesen. Denn so erfahren auch wir Ahnungslosen, daß die Wirklichkeit weiterhin die schönsten Satiren schreibt. Im aktuellen Fall geht es um die Besitzverhältnisse an dem gleichermaßen erfolgreichen wie widerlichen, nur im Osten Deutschlands erscheinenden Busenblättchen Super Illu. An diesem Schundprodukt, irgendwo zwischen 'Praline‘ und 'Neue Revue‘, ist, über allerlei verschachtelte Beteiligungen, die katholische Kirche beteiligt. Und schon ahnen wir, warum der Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba verbal jüngst Gericht saß über ein paar „hergelaufene Schwule“ und „randalierende Aids- Positive“: alles reine Marketing- Überlegungen. Denn der homophile Mann gehört nicht zur Zielgruppe eines oberhirtlichen Tittenblattes.
Steinbach amüsiert: Demnächst sind wohl Priester-Freiabos fällig. Dann wird das priesterliche Glockenspiel unter dem Talar nicht nur sonntags allerprächtigst schwingen. Und gib uns unsere tägliche Ejakulation heute.
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