Bomben auf Vukovar, Granaten auf Dubrovnik

■ Berichte über Armeepanzer im Zentrum Vukovars/Bombenangriff zehn Kilometer südlich von Zagreb/Granaten auf Flüchtlingshotels in Dubrovnik/Serbische Position zum EG-Plan bleibt doppeldeutig/Austausch von Kriegsgefangenen

Zagreb/Dubrovnik/Belgrad (taz/ afp/ap/dpa) — Fällt Vukovar? Seit Tagen kündigen serbische Kreise die Einnahme der seit 71 Tagen eingekesselten Stadt im kroatischen Ostslawonien an. Am Sonntag waren nach Angaben von Radio Zagreb acht Panzer der jugoslawischen Armee bereits ins Zentrum der Stadt vorgedrungen. Auch Kampfbomber der Luftwaffe und auf der Donau stationierte Landetruppen der Marine griffen in die Kämpfe ein. Nach übereinstimmenden Berichten von beiden Seiten der Front steht Vukovar nun kurz vor der Eroberung.

In ganz Kroatien war es am Samstag zu den schwersten militärischen Auseinandersetzungen seit dem kaum je eingehaltenen Waffenstillstandsabkommen vom 18. Oktober. gekommen. Die jugoslawische Nachrichtenagentur berichtete zwar — ohne näheren Angaben — von einer ersten großen Gegenoffensive der kroatischen Streitkräfte mit 20.000 Soldaten und modernsten Panzern des Typs T-84. Zum erstenmal sollen kroatische Truppen sogar einige Kilometer auf serbisches Gebiet vorgedrungen sein. Doch geht der Krieg weiterhin um die kroatischen Städte, deren Namen seit Wochen und Monaten in den Meldungen immer wieder auftauchen: Osjek, Sisak, Petrinja, Karlovac, Gospic, Pakrac und vor allem Vukovar. All diese Städte Ostslawoniens und der Banija, beides Gebiete, in denen die Serben eine starke Minderheit bilden, lagen am Wochenende unter Beschuß der Artillerie der jugoslawischen Armee oder wurden von der Luftwaffe bombardiert.

In Zagreb wurde am Samstag zum erstenmal seit zehn Tagen wieder Luftalarm ausgelöst. Doch griffen die Kampfbomber die Millionenstadt selbst nicht an, zerstörten aber einen Stromumspanner zehn Kilometer südlich von Zagreb und griffen dem kroatischen Radio zufolge die vorderste Verteidigungslinie im Süden der Stadt an. An der dalmatischen Küste wurde die Stadt Nin bei Zadar von Flugzeugen beschossen. Das kroatische Fernsehen berichtete zudem, die Brücke, die die Insel Vir mit dem Festland vor Zadar verbindet, sei zerstört worden.

Unter heftigem Artilleriebeschuß lag am Samstag auch die kroatische Hafenstadt Dubrovnik. Gegen 17.20 Uhr mußten zahlreiche Bürger der Stadt, die auf der „Stradun“, der Hauptstraße des historischen Zentrums, Kerzen zur Totenehrung anzünden wollten, in die Schutzräume flüchten. Während des zweistündigen Angriffs wurde die Großbäckerei der Stadt schwer getroffen, was die ohnehin schon desolate Versorgung der seit einem Monat belagerten Stadt mit Lebensmitteln zusätzlich erschweren dürfte. Das mit 500 Flüchtlingen belegte Hotel Tirena im Stadtteil Babin Kuk wurde von zwei Geschossen getroffen. Im Stadtteil Lapad, auf den innerhalb von nur einer halben Stunde 30 Granaten abgefeuert wurden, geriet ein weiteres Hotel in Brand. Ein Gebäude, in dem ein Kindergarten untergebracht war, wurde nahezu vollständig zerstört. Ein Geschoß landete im Garten eines Waisenhauses. — In einem Vorort von Zagreb traf in der Nacht zum Sonntag ein Konvoi von 28 Autobussen mit 1.500 Müttern ein, die ihre Söhne in den von kroatischen Streitkräften belagerten Kasernen von Zagreb, Bjelovar und Dugo besuchen wollen. Der stellvertretende kroatischen Verteidigungsminister Ivan Milas, der den Konvoi empfing, versicherte den Müttern, sie könnten die Soldaten schon bald mit nach Hause nehmen. Die Aktion war von der „Bewegung Frauen für Jugoslawien“ organisiert worden, die den serbischen Machthabern in Belgrad nahesteht.

Die serbische Haltung gegenüber dem EG-Friedensplan, der die Auflösung des jugoslawischen Staatsverbandes vorsieht, blieb am Samstag doppeldeutig. Nachdem der serbische Präsident Milosevic am Freitag seine generelle Ablehnung der EG-Pläne aufgegeben hatte, bezeichnete das auf den sogenannten serbischen Block reduzierte Rumpfstaatspräsidium noch am selben Tag die für die Serben in Kroatien vorgesehene Lösung als „grundsätzlich akzeptabel“, doch seien die Garantien zur Sicherung des Minderheitenstatus „absolut nicht zufriedenstellend“. Es müßten neue Verhandlungen geführt werden mit dem Ziel, eine Lösung zu finden, „die nicht von der Willkür der kroatischen Behörden abhängt, sondern technisch und juristisch der Kontrolle der internationalen Gemeinschaft untersteht“. Diese Doppeldeutigkeit weist darauf hin, daß die serbische Führung möglicherweise durch eine formelle Annäherung an die EG-Forderung die Verhängung von Sanktionen verhindern will, ohne ihre Haltung grundsätzlich zu ändern. Die bisherige Position, daß die zum Teil von Serben besiedelten Gebiete Kroatiens nie wieder von Zagreb aus regiert würden, hatte noch am Samstag der Vizepräsident des serbischen Parlaments, Vukasin Jokanovic, bekräftigt.

In Brüssel tagen heute die Außenminister der EG, um die Sanktionen festzulegen, die aber frühestens am Mittwoch beschlossen werden sollen, falls Serbien morgen bei der Jugoslawien-Konferenz in Den Haag durch Fernbleiben sein Desinteresse an einer Verhandlungslösung bekundet. Im Fall von Sanktionen geht es vor allem auch darum, die auch militärisch relevanten Erdöllieferungen Griechenlands an Serbien zu unterbinden. Schon jetzt steht man in Belgrad bis zu sechs Stunden Schlange, um Benzin für umgerechnet drei Mark pro Liter zu kaufen. In der Belgrader Presse hieß es am Samstag, daß Serbien die Stromlieferungen an Kroatien wieder aufnehme, falls Zagreb sich bereit erkläre, Benzin und Erdöl über die Pipeline, die von der kroatischen Küstenstadt Rijeka nach Belgrad führt, zu liefern. Ob der Deal zustandekommt, ist höchst ungewiß. Ein anderer Tausch ging hingegen bereits am Samstag vonstatten. Bei Glina, 80 Kilometer südlich von Zagreb, ließ die Armee 90 kroatische Soldaten und Polizisten frei. Im Gegenzug übergaben die Kroaten 46 Kriegsgefangene. thos