Palästinenser und Israel an einem Tisch

Aufnahme der bilateralen Gespräche mit Israel in Madrid/ Syrien und der Libanon zur Teilnahme bereit/ Ende des Mythos von der gemeinsamen arabischen Position/ Baker vermittelt weiter  ■ Aus Madrid Beate Seel

Es war ein regelrechter Nervenkrieg, der sich gestern in Madrid den ganzen Tag über hinzog. Die israelische und die palästinensisch-jordanische Delegation nahmen am Morgen wie geplant ihre bilateralen Gespräche auf, doch bis in den Nachmittag hinein blieb es letztendlich ungewiß, ob auch die syrische und libanesische Abordnung zu direkten Verhandlungen mit der Gegenseite bereit sein würden. Es hieß zwar, die Delegationen aus Beirut und Damaskus würden nach dem Ende der palästinensich-jordanischen Gespräche ebenfalls in die zweite Runde gehen, doch eine Bestätigung gab es dafür zunächst nicht. Verwirrung, widersprüchliche Äußerungen und Spannung hielten den ganzen Sonntag über an. US-Außenminister James Baker schaltete bei seinen Bemühungen, die Kontrahenten doch noch zum Gespräch zu bewegen, auch den ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak, den saudischen König Fahd sowie den jordanischen König Hussein in die Vermittlungen ein.

Am Anfang stand ein Alleingang der palästinensisch-jordanischen Delegation, die damit die Bemühungen um einen Friedensprozeß über das Ziel der arabischen Einheit stellte. Pünktlich morgens um 10 Uhr traf sie im Parcen Palast, einem Gebäude des spanischen Justizministeriums, zu den ersten offiziellen, direkten Gesprächen und ohne Beteiligung Dritter mit der israelischen Delegation unter Leitung des Kabinettssekretärs Eliakim Rubinstein ein. Die palästinensische Abordnung wurde von Haidar Abdel Shafi aus Gaza angeführt, die jordanische von Abdel Salam al Majali, einem Berater des Königs.

Erste Stellungnahmen in der Mittagspause klangen optimistisch: „Das war ein guter Anfang, eine gute, positive Atmosphäre“, kommentierte Rubinstein, und Marwan Muasher, der Sprecher der jordanischen Delegation, meinte: „Es war gut und sachlich, es gab keine Spannungen“. Wie es aus Kreisen der israelischen Delegation hieß, gaben sich die Kontrahenten gar zur Begrüßung die Hände, allerdings nicht vor den laufenden Fernsehkameras. Die Gesprächsrunde wurde um 16 Uhr fortgesetzt.

Die Sprecherin der Palästinenser, Hanan Aschrawi, hatte bereits am Freitag nachmittag angekündigt, daß sich die palästinensische Delegation an den nach langem Tauziehen für gestern angesetzten bilateralen Gesprächen beteiligen werde. Damit griff sie einem arabischen Koordinierungstreffen vom Freitag abend vor, auf dem ein gemeinsames Vorgehen erarbeitet werden sollte. Seitens der Palästinenser hieß es gestern vormittag, die Tatsache, daß die gemeinsame Delegation mit Jordanien beschlossen habe, ungeachtet der Widerstände Syriens an den Gesprächen teilzunehmen, zeige, daß man die einzigartige Chance für Friedensgespräche auch wahrnehmen wolle. Der Mythos einer „gemeinsamen arabischen Position“, die bereits in den einzelnen Redebeiträgen während der dreitägigen Konferenz sehr unterschiedlich ausfiel, ist damit endgültig vom Tisch.

Der Auftakt der entscheidenden bilateralen Gespräche war bis zuletzt fraglich gewesen, hatte Israel doch darauf bestanden, daß sie „im Nahen Osten“ stattfinden und in Israel beginnen sollten. Israelischen Vorstellungen zufolge sollte gestern ausschließlich über Verfahrensfragen und den Ort der eigentlichen Verhandlungen diskutiert werden. Als einen möglichen Kompromiß zwischen Madrid und dem „Nahen Osten“ schlugen die USA Washington oder Williamsburg in Virginia als Tagungsort vor; letzteres vermutlich für den Fall, daß es Einwände gegen die US-amerikanische Hauptstadt gibt. Für die Abhaltung der Gespräche in den USA spricht vor allem, daß die Regierung in Wahington ihre selbstgewählte Rolle als „Katalysator“ des Friedensprozesses auf heimatlichem Boden am wirkungsvollsten spielen kann.

Ob nun freilich bei den gestrigen Gesprächen in Madrid einzig und allein über Verfahrensfragen geredet wurde, war bei Redaktionsschluß noch offen.

Die Palästinenser hatten angekündigt, sie wollten die Forderung nach einem unabhängigen Staat, der Rückkehr der Flüchtlinge und einem Ende der Siedlungspolitik einbringen. Im Umfeld der syrischen Delegation hieß es mittags, sie habe aus Damaskus grünes Licht erhalten, an den Gesprächen teilzunehmen, aber nur, um über die Inhalte des Friedensprozesses zu reden und nicht über Verfahrensfragen.

Ein Sprecher der syrischen Delegation hatte am Morgen erklärt, die Forderung nach einem Gesprächsbeginn in Israel sei eine „totale Überraschung“ gewesen; man habe kein Mandat, darüber zu verhandeln. Beide Seiten warfen sich gegenseitig einen Bruch der Vereinbarungen vor; Israel, weil die Syrer nicht zum ausgemachten Termin antraten; Syrien, weil die Gegenseite nicht zu bilateralen Verhandlungen in Madrid bereit war.

Der Leiter der israelischen Delegation für die Gespräche mit Syrien, Josef Ben Aharaon, sprach von einer „extrem dogmatischen Position“ und warf Damaskus vor, eine „harte Linie“ zu fahren. Nach weiteren Verhandlungen erklärte sich die syrische Vertretung schließlich bereit, nachmittags im Anschluß an die Gespräche mit der jordanisch-palästinensischen Delegation ebenfalls mit den Israelis zu verhandeln. Die libanesische Abordnung schloß sich diesem Votum an.