: Frauen-Notruf überlastet
■ Sexuelle Gewalt gegen Frauen wächst / Hilfsangebote ungenügend
In wenigen Tagen zieht der „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“ in neue Räume. Nach über zehn Jahren seit seiner Gründung läßt sich die Arbeit mit betroffenen Frauen anders nicht mehr bewältigen. „Die Zahlen steigen. Nicht nur in der Kriminalstatistik, auch in der Nachfrage nach Hilfsangeboten bei uns“, berichtet Ulrike Kretschmann, Diplompädagogin und Psychologin beim Notruf.
In der Polizeistatistik ist die Zahl der bekanntgewordenen Vergewaltigungen in einem Jahr um 20,2 Prozent gestiegen, die der sexuellen Nötigungen (hierunter fallen auch anale und orale Vergewaltigungen) um 17,6 Prozent. 1990 waren dies 155 Anzeigen wegen Vergewaltigung, 60 Fälle sexueller Nötigung. Bundesweit sind die Zahlen sonst rückläufig, berichtet Hans-Henning Hoff von der „Arbeitsgruppe Institutioneller Umgang mit Vergewaltigungsopfern“. Ob dies auf einen tatsächlichen Anstieg oder auf ein verändertes Anzeigeverhalten zurückzuführen ist, läßt sich dabei nicht klären. Die Dunkelziffer von Sexualdelikten wird inzwischen mit dem 10 bis 20fachen dieser Zahlen angenommen. Damit kommt Bremen auf 3.800 bis 7.700 sexuelle Gewalthandlungen an Frauen und Kindern in einem Jahr.
Eine neue Broschüre über sexuelle Gewalt gegen Frauen in Bremen und über das Versorgungsnetz für die Betroffenen hat der Verein des Notrufs zusammen mit der Arbeitsgruppe „Institutioneller Umgang mit Vergewaltigungopfern“ jetzt herausgegeben. Der Notruf ist zu einem Fundament der Angebote geworden: Wo immer die Frauen sich melden, werden sie zum Notruf weitergeschickt. Dort sollen sie dann auch nicht weitergeschickt werden, sondern, sofern sie dies wollen, auch eine Therapie beginnen können. Wenn die Frauen beim Notruf landen, haben sie bereits bei der Polizei, bei ihrer Anwältin und u.U. bei einer anderen Beratungsstelle (Pro Familia o.ä.) ihre Geschichte erzählen müssen. Der juristische Prozeß folgt meistens erst Jahre später. „Wenn die Frauen bei uns dann auch noch durch mehrere Hände gereicht werden, werden sie nie mit dem Trauma fertig“, sagt Ulrike Kretschmann. Notruf und Arbeitsgruppe fordern deshalb, mit ihren höchstqualifizierten Mitarbeiterinnen aus dem ABM-Karussell durch einen festen Haushaltstitel gelöst zu werden. ra
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