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Die Arbeit für Weihnachten lohnt sich nicht

■ Riesenandrang um völlig unterbezahlte Jobs am Alex/ Kaufhof sucht Aushilfen zum Weihnachtsgeschäft und zahlt ganze 7,24 MarkBruttolohn

Mitte. Ein Menschenpulk aus Ost- Berlin drängte sich gestern vormittag durch die Flure des Kaufhof-Warenhauses am Alexanderplatz, um einen der etwa hundert Aushilfsjobs zu ergattern. Ganze 7,24 Mark brutto zahlt der Kaufhausriese pro Stunde, viele können zur Zeit auch bei so schlecht bezahlten Tätigkeiten nicht nein sagen. Für zwölf Personen ist der Aufzug gebaut. Mindestens 15 Menschen drängen sich jedoch in die Kabine und machen die Abfahrt unmöglich. Nur unwillig steigen ein paar Fahrgäste wieder aus.

»Aushilfen für das Weihnachtsgeschäft« suchte der Kaufhof per Zeitungsannonce; ab Montag neun Uhr sei das Personalbüro besetzt. Doch bereits seit kurz vor acht ist der Wachmann am Personaleingang nicht mehr Herr der Lage. Die Kontrolle der Ausweise entfällt, denn der Andrang ist zu groß. »Fünfter Stock«, antwortet der Pförtner auf jede Frage, ganz gleich, was die Besucher wissen wollen. Wieviel denn gezahlt werde, wer überhaupt gesucht werde, wird der Wachmann gefragt. Dieser schüttelt nur verzweifelt den Kopf und wiederholt: »Fünfter Stock.« Fragen prasseln weiter auf ihn ein, bis sich die Aufzugtür wieder öffnet. Schlagartig wird der Pförtner uninteressant.

Wer nicht bereits lange vor Büroöffnung gekommen war, hat kaum eine Chance: Knapp 100 Bewerber, in der Mehrzahl Frauen, drängeln sich bereits um neun Uhr durch den engen Flur zum Zimmer 6.143. Schilder mit den entscheidenden Worten »Aushilfen für das Weihnachtsgeschäft« weisen den Weg durch die Etage vorbei an Plastikweihnachtsbäumen. Im Flur hängt ein Schaukasten aus den Zeiten, als am Alex noch das Zentrum-Kaufhaus war. »Nicht Du und ich, sondern wir! Helft mit zu verändern«, lautet der sozialistische Aufruf. Er wird schon lange nicht mehr beachtet. »Nicht Du, sondern ich« wäre angesichts des Gerangels passender.

Der Kampf um die vorderen Startplätze ist hart. Erst in der Schlange werden die Bewerber ruhiger. Mensch an Mensch stehen sie brav entlang der Wand. Hinzukommende schließen sich zu einer Serpentine im Flur an.

Fünf nach neun, die Tür zum Zimmer 6.143 öffnet sich, eine Kaufhof- Mitarbeiterin mit dem Namen Schlegel bittet um Aufmerksamkeit: »Wir nehmen keine Rentner, keine Kurzarbeiter, auch keine Invalidenrentner. Wir suchen Arbeitslose und Hausfrauen — Lohnsteuerkarte bitte nicht vergessen.« Vorbei ist es mit Ruhe und Ordnung, die Arbeitsuchenden stürmen auf die Angestellte zu. Was ist mit Null-Kurzarbeitern, wieviel wird bezahlt, suchen Sie auch Verkäufer, wieviel Stunden in der Woche? Ruhig erklärt Neu-Bundesbürgerin Schlegel die Bedingungen, die ihr selbst unangenehm zu sein scheinen — vor allem der niedrige Studenlohn. Für Arbeitslose, Steuerklasse 5, bedeutet er knapp fünf Mark netto pro Stunde.

Wut und Empörung mischen sich mit Enttäuschung und dem Versuch, unbemerkt davonzuschleichen. Ein 54jähriger Vorruheständler macht aus seiner Niedergeschlagenheit keinen Hehl: »Ich hätte mir gerne ein paar Pfennige für Weihnachten dazuverdient, aber selbst für diesen Hungerlohn bin ich denen zu alt.« Eine junge Mutter mit Kind auf dem Arm beschimpft die Mitarbeiterin offen: »Bei dem Bruttolohn arbeite ich ja praktisch nur für die Steuer.« Laute Kritik ist vor allem von denen zu hören, die gehen, weil sie ohnehin nicht genommen würden. Die Gebliebenen üben sich in Selbstrechtfertigung: »Selbst wenn die mich übernehmen würden, ich bleibe nicht länger als bis Januar«, verkündet eine Bewerberin.

Arbeitswillige, die sich über den geringen Lohn beschweren wollen, verweist Schlegel an den Personalchef Frank Meyer-Eckhardt. Doch dieser ist vorsorglich nicht im Hause. Seine Sekretärin erklärt: »Da müssen Sie sich gleich an die Geschäftsleitung wenden.« Christian Arns

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