: Notenzettels Traum
■ „Archiv für Deutsche Musikpflege“: 2.000 Bücher, Handschriften, Jahrhundert-Kartei
Es riecht, wie es in richtigen Archiven riechen muß: nach altertümlichen Papieren, nach Radiergummis, auch nach dunkeln Holzmöbeln, nach Denkmalschutz und dazu noch ein bißchen nach Zigarren. Das mit dem Denkmalschutz ist Einbildung, weil das „Archiv Deutsche Musikpflege“ im schönen Sandstraßen-Haus Nr. 3 des Bremer Landesdenkmalschützers, nur wenige Schritte vom Dom, untergebracht ist. Das mit den Zigarren aber, das kommt von Dr. Klaus Blum, verstorbener Bremer Musikwissenschaftler und Verfasser des Standard-Werkes „Musikleben in Bremen seit der Aufklärung“. Blum war Zigarrenraucher.
Und es sind seine Bücher, rund 2.000 Exemplare, die jetzt postum ihren Standort im Archiv gefunden haben. Das mit den Zigarren hat Ingeborg Fischer-Thein herausgerochen. Sie ist ein bißchen die Seele des Ganzen. „Das ist doch nicht der Sinn, daß Dinge nur verwahrt werden. Wie kriegen wir das an die Öffentlichkeit?“ fand sie eines Tages und schritt zur Tat — nicht überstürzt, aber mit der ihr eigenen Beharrlichkeit, guten Verbindungen und Ideen, wie man sie braucht, wenn man Pläne, aber kein Geld hat.
Der Musik-Archiv-Verein hatte seit 1956 wie Dornröschen geschlummert. Immer mal wieder kamen Menschen mit sauber geschnürten Päckchen vorbei, in denen sie Nachlässe verwahrt hielten, Notenhandschriften meist unbekannter Bremer Komponisten. Mit der Blum-Bibliothek, laut Testament nur als Einheit zu verkaufen, hatte die neue Eigentümerin Uni-Bibliothek dann Platzprobleme. Ob das Archiv die 2.000 Bände stellen könnte? Und ob.
Frau Fischer-Thein, hauptberuflich in der Vorstandsetage der Bremer Sparkasse tätig, fand dort offene Ohren. In 100 Kartons lagerten die Bücher in der Sparkasse, bis in der Sandstraße ein Regal aus dunklem Holz bis zur Decke hochgezimmert war — aus Sparkassen-Spenden wie übrigens auch der gewaltige Tisch, um den herum vor ihrem geistigen Auge Frau Fischer-Thein schon StudentInnen, Musik-KritikerInnen, WissenschaftlerInnen hinter Bücherstapeln sitzen sieht.
Jetzt muß die Rede sein von Matthias Horais, der nicht nur Klavierspiel lehren und Chöre leiten, sondern auch den Computer bedienen kann. Den, man ahnt es, lieh die Sparkasse Ende '89 an das Archiv. Und Horeis, als einziger ABM-gestützt, trichterte ihm inzwischen die Buchbestände des Archivs ein. Vernetzt ist das Ganze mit Uni- und Stadtbibliothek.
Eigentlich ist das Archiv drei Archive. Zu den Blum-Büchern kommt eine unglaubliche Kartei, für die der Ingenieur Herbert Winter seinerzeit — und das meint den Zeitraum ab 1900 — täglich vier Stunden akribisch Kärtchen beschriftete und Pressetexte sammelte. Alle Konzerte seit 1900, die je in Bremen stattfanden, sind hier in tesaverstärkten Schuhkartons (und neuerdings im Computer) gesammelt, sortiert nach Werken, nach Dirigenten, nach Ensembles. Ein Wahnsinnswunderwerk mit Quer- und Kreuzvermerken. Wer hat dirigiert, als 1954 die 9. von Beethoven gespielt wurde? Gab es Brahms' ungarische Tänze im Bremen in den 80ern zu hören? Dr. Jacob Johannes, Mediziner im Ruhestand, ist jetzt ehrenamtlich Herr über die 17.000 Karten.
Das dritte Archiv im Archiv betreut Andreas Salm, selbst Komponist moderner Musik, selbst Musiker (Klarinette und Saxophon) und Organisator der Waage-Konzerte. Er hat, ehrenamtlich, Ordnung in das Noten- Archiv gebracht und findet: „Blödsinn, daß einer erst sterben muß, bevor er aufgeführt wird!“ Von 20 Bremer Komponisten hat er Handschriften-Noten gesammelt und kommentiert für die, die keine Partituren lesen können, sammelt Platten und Tonbänder dazu. In den Waage-Konzerten sollen solche unbekannten Bremer KomponistInnen aufgeführt werden.
Das Klavier, die Musikanlage sind privat mitgebracht. Geld fehlt fast völlig, außer 4.000 Mark Zuschuß pro Jahr. Aber in den Kopf gesetzt haben es sich alle vier: Archiv und Komponistenbörse starten, im Frühjahr. Wetten? Susanne Paas
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen