Aidskranke warten nicht mehr

New York (dpa) — Amerikas Aidskranken dauert es zu lange, bis brauchbare Medikamente gesundheitsamtlich abgesegnet werden — Käuferclubs besorgen auch offiziell nicht zugelassene Präparate.

Die Statistik, nach der in den USA bis Ende September 126.159 Menschen an Aids gestorben sind, ist erschreckend genug. Aber die persönliche Erfahrung kann viel schwerer wiegen: „Wenn du im Jahr 140 Freunde verlierst, wirst du wütend“, sagt Lenny Kaplan, der in Fort Lauderdale in Florida einen Club mit dem Namen „Fight for Life“ (Kampf ums Leben) leitet. Es ist einer der zahlreichen „Käuferclubs“ in Amerika, die sich auf die Beschaffung von Medikamenten gegen die tödliche Immunschwächekrankheit spezialisiert haben — noch nicht zugelassenen, noch nicht erprobten, in den USA nicht erhältlichen oder auch unkonventionellen Mitteln.

Dazu gehörte zeitweise ein Medikament, das „Compound Q“ genannt wurde und als Wundermittel galt. Es wird in Schanghai produziert und von Ärzten verschrieben, um Schwangerschaftsabbrüche einzuleiten oder bestimmte Arten von Tumoren zu bekämpfen. Aidskranke und ihre Ärzte waren vor gut zwei Jahren überzeugt, es sei geeignet, die vom Virus befallenen Zellen abzutöten und andere Zellen nicht zu schädigen. Mittelsmänner wurden nach China geschickt, bezahlten nach eigenen Angaben Zehntausende von Dollars an Funktionäre und brachten auch so viel „Compound Q“ mit, daß es erprobt und dann in Amerika produziert werden konnte. Die dabei beteiligten Ärzte verpflichteten ihre Patienten mit der Drohung des Ausschlusses aus dem Programm, nicht darüber zu sprechen.

Über das vermeintliche chinesische Wundermittel spricht kaum noch jemand, aber das Problem ist dasselbe geblieben: Das Gesundheitsamt der US-Regierung (Food and Drug Administration) nimmt sich nach Überzeugung der verzweifelten Aids-Infizierten viel zu lange Zeit, um neue Mittel zu testen und freizugeben. Deshalb ist ein riesiger Untergrundmarkt für Experimental- Medikamente entstanden, und das Gesundheitsamt hat bisher mit Rücksicht auf die vom Tode bedrohten auf ein Einschreiten verzichtet.

In jüngster Zeit allerdings werden die Kontrollen schärfer — auf Drängen der an den Tests beteiligten Ärzte und der Pharma-Industrie. Es geht natürlich auch um die riesigen Gewinne, die mit einem offiziell zugelassenen und wirksamen Heilmittel zu erzielen wären. Zunächst aber geht es, unterstreichen die Gegner der Selbsthilfegruppen, gegen die eigenen Interessen der Erkrankten. Nicht nur ungetestete und gefährliche Nebenwirkungen sind das Risiko, sondern auch die schwindende Investitionsbereitschaft der Industrie bei der Entwicklung dieser Medikamente und die Gefährdung der Testreihen.

Das gegenwärtige Mode-Medikament, das der Konzern Hoffmann-La Roche Inc. in Nutley (New Jersey) erprobt, ist DDC. Zahlreiche Käuferclubs wissen, wie man an das Mittel herankommt, obwohl es offiziell nicht vermarktet werden darf. Viele Aidskranke nehmen es sogar, wenn sie an offiziellen staatlichen Testreihen teilnehmen: Dort wird es einem Teil der Versuchsgruppe verabreicht, während andere Teile der Gruppe die schon zugelassenen Medikamente AZT und DDI erhalten. Alle drei Mittel können die Vermehrung der Aids-Viren behindern. Um sicher zu sein, daß sie nicht mit den vermeintlich unterlegenen Präparaten behandelt werden, versuchen zahlreiche Patienten ihr Glück mit zusätzlichen illegalen DDC-Dosen— und machen damit die Testergebnisse wertlos.