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Machtlos gegen Stau und Gestank

■ Athen und Prag — zwei Beispiele für zunehmende Umweltprobleme durch ansteigenden Straßenverkehr/ Öffentliche Verkehrsmittel sind zu teuer/ Freie Fahrt für endlich freie Bürger

Schon in Paris und Stockholm ist es schwierig, das Recht auf Atemluft und eine lebenswerte Stadt gegen Autofahrer umzusetzen. Völlig auf verlorenem Boden kämpfen Umweltschützer jedoch in den ärmeren Regionen Europas. Ein klassisches Beispiel für die Unfähigkeit, der ständigen Vergiftung durch Autoabgase beizukommen, ist Athen. In regelmäßigen Abständen wird in der griechischen Hauptstadt Smogalarm ausgerufen, der den Staat dazu zwingt, sogenannte „außerordentliche Maßnahmen“ zu ergreifen. Das geschieht immer dann, wenn die Luft, die eigentlich zum Atmen gedacht ist, als brauner Nebel in den Straßen hängt. Nach Studien des Gesundheitsministeriums ist für die „Wolke“, wie die Griechen diese latente Umweltkatastrophe euphemistisch nennen, zu drei Prozent der Hausbrand verantwortlich, zu 22 Prozent die Industrie und zu 75 Prozent der Autoverkehr in der Stadt.

Ein im Herbst 1985 ausgearbeitetes Fünf-Jahres-Programm sah neben der effizienteren Überwachung des Schadstoffausstoßes bei Industrie und Hausbrand auch die Einschränkung des Individualverkehrs vor. Vom „Kleinen Ring“, der einen Durchmesser von etwa zwei Kilometern hat, wurde die Hälfte der Fahrzeuge ausgesperrt. Abhängig von den Endziffern der Nummernschilder ist an Arbeitstagen abwechselnd den „Geraden“ und den „Ungeraden“ das Befahren des Stadtzentrums verboten. Trotz heftigen Widerstands mußten sich 1989 auch die 25.000 Taxis dieser Regelung beugen. Sie ersetzen trotzdem bis heute zu einem beachtlichen Teil die öffentlichen Verkehrsmittel. Den Bussen, die sich mit nur sieben Stundenkilometern Geschwindigkeit durch die Straßen schleppen, ziehen Tausende Athener das relativ billige Taxi vor. Keine der vom Staat beschlossenen Maßnahmen brachte bisher eine Verbesserung im Verkehrsfluß oder führte zu einem Rückgang der Schadstoffe in der Atmosphäre. Im Gegenteil: Es wird Jahr für Jahr schlimmer. Anstatt in dieser Situation massiv in die öffentlichen Verkehrsmittel zu investieren, denkt die konservative Regierung aus Kostengründen laut über die Privatisierung des städtischen Busunternehmens nach. Der Bau einer U-Bahn steht bereits seit einem Vierteljahrhundert auf dem Papier.

Ist die Reaktionsunfähigkeit der Behörden auf Smog in den Mittelmeerländern alte Tradition, so stehen die Regierungen in den ehemaligen sozialistischen Ländern erst recht vor einem Dilemma. Mangelndes Umweltbewußtsein und eine schmale Kasse verbinden sich hier auf das schlechteste mit einem Nachholbedürfnis in Sachen Automobil. Die osteuropäischen Hauptstädte versinken zunehmend in einem Chaos aus Verkehr und Gestank. Jahrelang hatten die Prager Reiseführer stolz die Weitsicht Kaiser Karls IV. gelobt. Bereits im 14. Jahrhundert, so hieß es, hätte der Gründer der Prager Neustadt die Straßen in einer Breite anlegen lassen, die noch heute dem Verkehr genüge. Doch damit ist es nun vorbei. Nahezu zwei Jahre nach der „samtenen Revolution“ haben sich nicht nur Kriminalität und Prostitution, sondern auch der Autoverkehr vervielfacht. Gab es früher allenfalls am Wochenende, wenn die Prager sich zu ihren Datschas aufmachten, auf den Ausfallstraßen die eine oder andere Behinderung, so gehört der Stau heute zum Alltagsleben der Hauptstadt. Selbst der sonst etwas schwerfällige tschechoslowakische Rundfunk ging hier mit der Zeit und führte einen Verkehrsservice ein. An normalen Tagen paßt der Verkehr sich der Fließgeschwindigkeit des Flusses an, während der häufigen Reparaturarbeiten an den Schienen der Straßenbahnen geht jedoch nichts mehr. Doch ein Verkehrskonzept, das die Autofahrer zwingt, den historischen Kern Prags weiträumig zu umfahren und für Fahrten in die City die gut ausgebaute Metro zu verwenden, scheint in weiter Ferne zu liegen. Der neuen Stadtverwaltung fällt bisher nicht viel mehr als der alten ein: Neue Tunnel und Straßen sollen dem Verkehr zu Bewegung verhelfen. Denn gerade nach dem demokratischen Umbruch gilt: Freie Fahrt für freie Bürger. Die neue Stadtverwaltung hat hierfür zwar eine Reihe von Vorschlägen ausgearbeitet, zu ihrer Verwirklichung fehlen der Hauptstadt bisher jedoch die nötigen Mittel. Für das um Unterstützung gebetene zuständige Ministerium hat der Ausbau der Autobahn Prag-Nürnberg Priorität. Robert Stadler (Athen) und

Sabine Herre (Prag)

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