piwik no script img

Am liebsten auf UKW

■ Radio Wolga sendet aus einer Villa in Potsdam — auch auf deutsch

Potsdam (dpa) — Der Wachposten an der frisch renovierten Jahrhundertwende-Villa in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam wollte den Journalisten zunächst keinen Einlaß gewähren. Erst mußten Offiziere des Oberkommandos der sowjetischen Streitkräfte aus Wünsdorf mit dem Hausherrn, Chefredakteur Nikolai Rjanosanow, kommen. Aber nach diesem schwierigen Entrée präsentierte sich der seit 1945 mehr in der Verborgenheit arbeitende sowjetische Soldatensender Wolga dann mit großer Offenheit.

Auf eine halbe Million wird der Hörerkreis der russischsprachigen Radiostation geschätzt. Seit dem 6. Oktober aber wird auch in deutsch gesendet. Und ohne Zögern wurde die Frage beantwortet, wer denn die in Potsdam geschriebenen Manuskripte des deutschen Dienstes beim sowjetischen Soldatensender redigiere: Es ist der Chefredakteur, nicht die Herren in Wünsdorf.

Die „Macher“ — 30 Offiziere und Zivilisten — sehen sich wegen des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte nach und nach ihres ehemals angestammten Hörerpublikums beraubt. Hinzu kommen pekuniäre Probleme und der Wunsch, „in Umsetzung der Helsinki-Schlußakte über objektive Informationen zur Völkerverständigung beizutragen“, wie Chefredaktuer Rjanosanow formuliert. Alles gute Gründe, auch an die deutsche Öffentlichkeit zu gehen, nachdem der Sender bereits Unterstützung durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung erhielt. Jetzt wirbt Radio Wolga um deutsche Hörer und Partner für eine Zusammenarbeit bei den Sendungen und der Werbung. Mehrere Angebote für den Aufbau eines kommerziellen Senders im UKW-Bereich gebe es bereits, sagte Rjanosanow.

Ein Blick in die Manuskripte der Eigenproduktionen läßt ein Mithören in Zukunft fast zum tagespolitischen Pflichttermin werden. Der Hörer erfährt auch, daß 55.000 sowjetische Familien nach dem Abzug aus der Bundesrepublik daheim zunächst keine Wohnung haben werden. Berichtet wird ferner von „Problemen bei der Verwertung des Eigentums der Westgruppe“ und daß die 800 Massen- und Einzelgräber von insgesamt 200.000 gefallenen sowjetischen Soldaten auf ostdeutschem Boden „als Teil des deutschen Kulturerbes“ denkmalgeschützt würden. In zwei Studios produzierte das bald zehnköpfige Team des deutschen Dienstes außerdem ein Gespräch mit einer 72jährigen Sowjetbürgerin aus dem Ural, die sich über Paketspenden aus Deutschland lobend äußert. Auch mit Volks- und Klassikmusik der Sowjetunion soll der deutsche Hörer bekannt gemacht werden.

Die Reichweite ist spektakulär: Unter den Hörerbriefen fand sich auch Post aus Kanada. Hobby-Funker hatten Radio Wolga über die Langwelle 1.149 Meter auf 261 kHz im fernen Toronto empfangen. Dies ist bislang die einzige Frequenz; und auf deutsch sendet er vorerst nur sonntags von 13.30 bis 14.00 Uhr. Aber das soll mehr werden, sobald er eine der heißbegehrten UKW-Frequenzen ergattert hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen