Innerer Fraktionszwang-betr.: "Leserinnenbrief "Zweite rote Karte", taz vom 1.11.91 zu dem Kommentar von Ulrich Hausmann "Grüne Utopien", taz vom 28.10.91

betr.: Leserinnenbrief von Claudia Roth „Zweite ,rote Karte‘“, taz vom 1.11.91 zu dem Kommentar von Ulrich Hausmann „Grüne Utopien“, taz vom 28.10.91

Claudia Roth bringt leider nur zu deutlich zum Ausdruck, was in tausenden von grünen Köpfen festsitzt: Menschen, die in der bürgerrechtlich-ökologisch-linken Parteiplattform des Bündnis90/Grüne aktiv sind, gar Mitglied des Bundestages, dürfen nicht losgeöst von der Partei agieren, müssen sich an (westliche!) Vorgaben halten, innerer Fraktionszwang sozusagen. Dabei vergißt Frau Roth offensichtlich, daß die Grünen selbst aus QuerdenkerInnen und Bürgerbewegten entstanden und jedes Parteiprogramm, jeder Aufruf allenfalls ein Ausdruck der Mehrheit, nicht aber jedes Individuums sein kann. Frau Roth und ihre MitstreiterInnen jedenfalls hatten mit ihrer Politik und mit ihrer Taktik bei den Bundestagswahlen wenig Erfolg; anders dagegen im Osten. Dort wurde ein Konsens von Bürgerbewegten, Linken, Ökologischen und Feministinnen gebildet, der zwar keine zufriedenstellende, aber immerhin eine ausreichende Zustimmung fand; weil es ein Sammelverbund von Individuen und kein Zwangskorsett war; mehr kann auch eine Partei links von der SPD nicht sein, ansonsten geht sie unter.

Irgendwann, vor gut 70 Jahren, da durfte man den Traum einer linksliberalen Partei noch träumen, heute wird man als Spinner und zudem von Besserwessis wie Frau Roth offensichtlich als wenig qualitativ bezeichnet, wenn man sich ein- und aufzwängen läßt. Doch mit der Liberalität, die keinesfalls zwangsweise zum Manchesterkapitalismus führen muß, geht sukzessive auch die Intelligenz — bis zur ideologischen Entleerung. [...] Sebastian Lovens, Duisburg