: Wem gehört die Stadt?
■ Potsdamer Platz: die Demokratie auf dem Prüfstand
Gehen die Grabenkämpfe zwischen den Investoren Daimler- Benz/Sony und Senator Hassemer so weiter, wird es beim Wettbewerb Potsdamer Platz nur mehr Verlierer geben. Dazu gehören: Planungskultur, die Interessen einer Stadt, die Architektur. Das Ganze ist kein Spaß mehr um Bauhöhen, kein Streit über das moderne Stadtmodell Richard Rogers, kein Disput um den in Kontinuität zum traditionellen Stadtgrundriß stehenden Entwurf der Wettbewerbssieger Hilmer & Sattler. Unschuldig an der verqueren Lage ist Hassemer nicht. Nur darum muß er jetzt »den Tiger reiten« und läuft Gefahr, gefressen zu werden. Der Wettbewerb Potsdamer Platz war nicht irgendein Wettbewerb. Er hatte städtebauliche und symbolische Bedeutung, wo von Anfang an die Interessen der Stadt gegen die Begehrlichkeiten der Konzerne standen. Naiv zu glauben, diese täten nicht alles, um ihre Vorstellungen nach einer hermetisch abgeschlossenen Investorenwelt durchzusetzen. Hat in der Geschichte nicht jede Kommune kapituliert vor ökonomischer Macht und selbstherrlichem Anspruch? »Das Endbild der städtebaulichen Vision der Investoren wurde vor den Anfang des Wettbewerbs gestellt«, war jetzt im Stadtforum zu hören. Genau dort wäre der Platz gewesen, städtebauliche Leitbilder selbst zu finden.
Statt hinter den baulichen Chiffren der »Stadt des 21. Jahrhunderts« das Diktat der Investoren zu erkennen und zurückzuweisen, durften die Investoren mit Elefantenfüßen nach dem Wettbewerbssieger treten: Den wollen wir nicht. So einfach ist das. Der Entwurf — nein die ganze Richtung — paßte ihnen nicht ins Konzept. Sie hatten sowieso ein anderes, besseres vielleicht; auf jeden Fall ein unvergleichbares Konzept. Denn gegen die Rogers-Studie für 1,8 Millionen Mark nimmt es das 20.000-Mark-Wettbewerbs- Klötzchen nicht auf. Es kann es gar nicht. Die Kritik ist unsachlich, weil ein auftragsgemäß abgeliefertes »Baumassenmodell« mit ästhetischen Beurteilungsmaßstäben verrissen wird. Auf dem Prüfstand steht darum nicht der Hilmer-&-Sattler-Entwurf, sondern die geschundene Wettbewerbspraxis überhaupt. Sie fragwürdigen Lobbyisten zu opfern, deren Bild von Stadt nachzuplappern, käme einem Anschlag auf die Interessen der Stadt und die Entscheidungsfreiheit der Fachprüfer gleich.
Um des politischen Friedens Willen sollen Rogers und die beiden Münchener Architekten jetzt ihre Entwürfe zusammenwurschteln. Baumassen mit Architektur? High-Tech mit dem 19. Jahrhundert? Zum Lachen. Notwendig sind neue Methoden für derartige Wettbewerbe, neue Gutachterverfahren oder kleinteiligere Planungsprozesse. Und es bleibt die Frage, wem die Stadt gehört und welche Architektur für sie die beste sei. Solange diese Fragen nicht beantwortet werden, gibt es nur Verlierer. Rolf R. Lautenschläger
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