: Hirschfelds Enkel forschen wieder
■ Die Humboldt-Universität hat Magnus Hirschfelds Erbe aufgenommen/ Einmaliges »Institut für Geschlechter- und Sexualforschung« geplant
Mitte. Ein in Deutschland einmaliges »Institut für Geschlechter- und Sexualforschung« soll an der Humboldt-Universität (HUB) gegründet werden. Das von Rektor Heinrich Fink, der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und weiteren Gruppen und WissenschaftlerInnen initiierte Projekt soll in der Nachfolge des von Hirschfeld gegründeten Instituts stehen.
Die außeruniversitäre Forschungseinrichtung war 1919 von Hirschfeld gegründet und 1933 von den Nazis zerstört worden. Hirschfeld hatte verfügt, daß das Institutsvermögen zur Einrichtung eines sexualwissenschaftlichen Lehrstuhls an der Berliner Universität verwendet werden sollte. Dieses Vermächtnis war seit 1945 sowohl im Westen wie auch im Osten nicht aufgenommen worden.
Wie es nun in einem von 15 WissenschaftlerInnen unterzeichneten Memorandum heißt, soll das Institut sehr bewußt im sozialwissenschaftlichen Bereich der Universität angesiedelt werden. Die fächerübergreifend arbeitende Einrichtung wolle die Sexualwissenschaft nicht »im herkömmlichen Sinne als eine mehr oder weniger vom Geschlechterverhältnis abstrahierende Forschung weiterbetreiben«. Bestimmend für die Arbeit des Instituts solle die Erkenntnis sein, »daß die Geschlechterverhältnisse gesellschaftlich konstruiert und durch soziale, ökonomische, kulturelle und andere Bedingungen patriarchal und hierarchisch strukturiert sind«.
Wie Hirschfelds Institut will man sich besonders den Macht- und Gewaltverhältnissen der Geschlechter und der diskriminierten und verfolgten sexuellen Minderheiten annehmen. Die Forschung von Hirschfelds Institut war zu einem großen Teil auf die Unterstützung von Emanzipationsbestrebungen — insbesondere der Homosexuellen — ausgerichtet. »Per scientam ad justitiam«, durch die Forschung zur Gerechtigkeit, hatte Hirschfelds Wahlspruch gelautet. Neben der umfangreichen Forschung und Lehre soll das Institut sehr intensiv mit Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen kooperieren. Vorgesehen sind vier Professuren sowie zwölf Stellen für AssistentInnen beziehungsweise DozentInnen. Das Institut für Geschlechter- und Sexualforschung strebe aber »keinen eigenen grundständigen Studiengang und -abschluß an«.
Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und andere Gruppen setzen sich seit 1982 für die Wiedererrichtung des Berliner Instituts für Sexualwissenschft ein. Als günstig für das Institut wird nun die Phase der anstehenden Um- und Neustrukturierung der Berliner Hochschullandschaft vom Mediziner Günter Grau von der Charité und Ralf Dose von der Hirschfeld-Gesellschaft betrachtet: »Wenn, dann jetzt.«
Beide betonen im Gespräch mit der taz die Einzigartigkeit des Projekts. Einen ähnlich übergreifenden Forschungsansatz gebe es in Anfängen bislang nur in Amsterdam. Mit dem neuen Institut, so Grau und Dose, wolle man »das ursprüngliche Paradigma verlassen« und »weg vom Selbstverständnis, Sexualität als etwas ‘Natürliches‚ zu begreifen«. Hans-Hermann Kotte
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