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Unsere Erklärungen sind keine Schüsse an den Himmel

■ Der scheidende EKD-Vorsitzende, Bischof Martin Kruse, plädiert in der Asyl- und Flüchtlingsdebatte für differenzierte Töne

„Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken, denn ihr wißt, wie ihnen ums Herz ist, weil ihr auch Fremdlinge im Land Ägypten gewesen seid.“ (2. Mose 23,9) Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, die zur Zeit in Bad Wildungen tagt, wird sich unter anderem mit dem Asylrecht in der Bundesrepublik befassen. Verschiedene Landeskirchen plädieren für eine Neubesinnung in der Asyldebatte und rufen ihre Gemeinden auf, Flüchtlinge zu schützen. Doch so aktiv die Basis ist, so wenig Einfluß scheint die offizielle Kirchenpoltik auf die aktuelle gesellschaftliche Debatte zu haben. Der Berliner Bischof Martin Kruse nimmt Stellung zur Flüchtlingspoltik und zum Asylrecht. Es ist sein letztes Interview als EKD-Ratsvorsitzender. Der 62jährige Kruse wird nicht mehr für den Vorsitz kandidieren, sondern will sich ganz auf seine Arbeit in Ost- West-Berlin konzentrieren.

taz: Ihre Kollegin Antje Vollmer hat kürzlich ein „ordentliches Veto“ der Kirche in der Asyldebatte gefordert. Wo bleibt es?

Bischof Martin Kruse: Es gibt vielleicht zu viele Äußerungen der Kirche, und in dem ganzen Stimmenwirrwarr kommt dann keine so richtig durch. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat am 12.Oktober eine Erklärung zur Ausländerfeindlichkeit abgegeben.

Aber eine sehr späte. Seit Hoyerswerda waren bereits mehrere Wochen vergangen.

Der Rat der EKD tagt nur alle vier Wochen. Und ein Großteil der Landeskirchen hat sich bereits vorher geäußert. Aber wenn sich nicht die Gesamtkirche, die EKD, meldet, wird das offenbar vermißt.

In dieser Erklärung wird Gewalt gegen Ausländer verurteilt. Den Erhalt des Grundgesetzartikels 16 aber fordert die EKD nicht — im Gegensatz zu den meisten Landeskirchen.

Diese Erklärung hat alles, was mit der Gesetzesdiskussion zusammenhängt, abgeschnitten und sich auf die Frage der Fremdenfeindlichkeit beschränkt. Das war zu einem Zeitpunkt, als es aussah, als einigten sich die Parteien. Dies haben wir begrüßt, weil wir der Ansicht sind, daß sich die Situation beruhigen wird, wenn die Parteien einen Konsens suchen. Ansonsten verengt sich die Perspektive in einer gefährlichen Weise, weil alle Probleme in die Asylproblematik hineingepackt werden und so getan wird, als wäre eine Gesetzesänderung die Lösung aller Konflikte und Schwierigkeiten. Davor müssen wir aber warnen.

Also keine Gesetzesänderung?

Sie können davon ausgehen, daß die EKD in all ihren Erklärungen immer für einen Erhalt des Asylparagraphen eingetreten ist. Die Substanz dieses Artikels muß auf jeden Fall erhalten bleiben. Die Kirchen wären aber mißverstanden, wenn man ihnen unterschieben würde, sie würden blind sagen: „Je mehr kommen, desto besser.“ Die Kirchen sehen schon die Notwendigkeit, daß es zu einer Klärung im Blick auf die Aufnahmemöglichkeit kommen muß. Aber sie darf nicht zu Lasten der Asylsuchenden gehen. So als müßte auf dem Rücken der politisch Verfolgten dieser Welt das Problem gelöst werden.

Asyl ja — aber nicht für alle?

Das Asylrecht richtet sich aus auf Menschen in politischen Verfolgungssituationen. Die Menschenrechtssituation in vielen Teilen der Welt ist nach wie vor bedrängend und schlimm, und darum muß dieses Asylrecht für politisch Verfolgte offengehalten werden. Aber es kann nicht kurzgeschlossen werden mit den allgemeinen Flüchtlingsproblemen und der Notwanderung, die in der Welt da ist. Und hier muß es zu Differenzierungen kommen. Diese Notsituation, die Menschen auf die Wanderung treibt, kann nicht mit Hilfe des Asylrechts bewältigt werden. Hier muß es zu einer Trennung zwischen Flüchtlingsrecht und dem Asylrecht kommen.

Also eine Unterscheidung zwischen den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen und den politisch Verfolgten?

Natürlich. Aber ich lege Wert darauf, daß Schlagworte, die Keulen sind, aus der Diskussion herausgenommen werden. Das Wort Wirtschaftsflüchtling verniedlicht und verharmlost die Elendssituation dieser Menschen.

Aber trotzdem sind Sie dafür, daß diese Flüchtlinge sauber von den anderen abgegrenzt werden.

Jetzt schieben Sie mir das Wort von den Wirtschaftsflüchtlingen unter und sagen: „Sie sind ja auch einer, der hier differenziert.“

Aber differenzieren tun Sie ja. Sie geben dem Kind nur einen anderen Namen.

Ja natürlich bin ich dafür, zu differenzieren. Man muß sehen, daß die wachsenden Wanderungsströme Ausdruck der ungelösten Notsituation des Nord-Süd-Konfliktes ist. Man muß auch die unterschiedlichen Wanderungsströme sehen. Ich denke zum Beispiel an die zwei Millionen Deutschstämmige in der Sowjetunion, unter denen eine erhebliche Auswanderungsbewegung im Gange ist. Die ist zu unterscheiden von den Asylsuchenden, und die Asylbewerber sind zu unterscheiden von den Flüchtlingen, die aus Notsituationen kommen, aber nicht unbedingt aus politischer Verfolgung. Und daß in der Diskussion alles in einen Topf gerührt wird, fördert einfach eine Stimmungslage, die zu einer totalen Abwehr dieser Phänomene führt und dann natürlich auch Fremdenfeindlichkeit und Gewalt fördert.

Sie kennen sicherlich den Brief von CDU-Generalsekretär Rühe, in dem er seine Parteifreunde auffordert, die Asyldebatte in jedes Stadt- und Landesparlament hineinzutragen und die SPD damit unter Druck zu setzen. Was halten Sie von solchen Aktionen?

Es ist schädlich, wenn das Asylproblem für parteipolitische Zwecke funktionalisiert wird. Dem müssen nicht nur die Kirchen, sondern auch alle wachen Bürger widerstehen.

Aber auch die Kirchen streiten darüber nicht mit den Politikern, sondern veröffentlichen defensive Erklärungen. Warum stellen Sie sich nicht an die Spitze einer Bewegung gegen Fremdenhaß und Gewalt und bieten eine Plattform für die gesellschaftliche Diskussion?

Es hat eine Fülle von Gesprächen mit Politikern und Parteien gegeben. Die Erklärungen der Kirchen sind nicht einfach nur Schüsse an den Himmel. Vermißt hat die Öffentlichkeit eine gebündelte, konzertierte Aktion der Kirchen. Das nehme ich zunächst einmal ernst.

In der Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ heißt es: „Handelt ein Christ — auch wenn es aus Gewissensgründen geschieht — rechtswidrig, muß er selbst die Konsequenzen tragen und kann dabei nicht auf die Kirche hoffen.“ Wenn ein Pfarrer oder eine Gemeinde einen Flüchtling, der abgeschoben werden soll, versteckt, ist das rechtswidrig. Halten Sie Kirchenasyl in solchen Fällen trotzdem für legitim?

Es gibt Situationen in denen Pfarrer um ihres Gewissens willen so handeln müsse, in dem Wissen, daß sie die Konsequenzen zu tragen haben. Als Bischof werde ich sie öffentlich in ihren Motiven schützen, kann sie aber nicht vor Strafverfolgung bewahren.

Wie ist Ihre Vision für die Zukunft? Festung Westeuropa? Deutschland als Einwanderungsland?

Ich würde nicht Einwanderungs- sondern Zuwanderungsland sagen, und das sind wir schon. Und das ist in Europa auch möglich. Die Aufnahmefähigkeit Europas ist größer, als unter der Bedrängnis dieser Probleme viele wahrhaben wollen. Ich trete für Lösungen im europäischen Rahmen ein. Meine Vision ist eine wirklich tiefgehende Bewußtseinsänderung. Der Druck, der durch die Zuwanderung in allen Teilen Westeuropas empfunden wird, muß zu einer vernünftigen Gestaltung der Fragen nach mehr Gerechtigkeit, mehr Entwicklungschancen für die armen Regionen führen. Die Phantasie der Menschheit muß reagieren auf diesen Druck und muß zu vernünftigen Lösungen führen. Gewalt, Versperren und Zuschlagen von Türen ist keine Lösung. Damit wird das Problem nur weiter abgeschoben, und das wird den Druck steigen lassen. Der Mensch lernt vieles erst durch Leidensdruck.

Ausländerhaß, weil der Leidensdruck noch nicht groß genug ist?

Zeiten der Verunsicherung fördern auch immer ein Stück von Gewalt. Und wir leben in einer Situation, wo viele Menschen die untergründige Hoffnung haben, daß sie ihr kleines Glück retten und schützen können. Und gleichzeitig merken sie, dieses Konzept gelingt doch nicht, daß wir unser Glück in Europa hüten. Es stößt sich an den Realitäten. Und diese Verunsicherung führt auch zu Eruptionen, zu Haß und Ärger. Aber ich würde es als Übergangsphänomen deuten. Es ist nicht eine Bewegung, vor der man zurückschrecken dürfte. Sie ist Ausdruck einer Übergangszeit, in der Neues gestaltet werden will. Interview: Bascha Mika

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