Ein neues Leben für die KGB-Reste?

■ Gorbatschow ernennt die Chefs für die Nachfolgeorganisationen des Geheimdienstes

Berlin (taz) — Michail Gorbatschow hat am Mittwoch per Dekret die Chefs der drei Behörden bestimmt, die die Nachfolge des Ende Oktober aufgelösten KGB antreten: Jewgewni Primakow tritt an die Spitze des Auslandsgeheimdienstes, Vadim Bakatin übernimmt die Reste des zentralen Inlands-KGB, und General Kalinenko, früher Stabschef der 300.000 Mann starken Grenztruppen, wird deren Kommandeur. Gleichzeitig kündigte der Innenminister Barannikow an, daß von den 300.000 dem Innenministerium unterstellten Soldaten 230.000 den Republiken unterstellt würden. Der Rest, insbesondere die speziellen „fliegenden“ Einsatztruppen, bleiben unter dem Kommando des Staatsrats und des Präsidenten. Gorbatschows Dekret ist vorher vom Staatsrat, dem Exekutivorgan aus den Führungen der Republiken, gebilligt worden.

Die neue Teilung der Behörden zieht die Konsequenz aus der Kritik der demokratischen Kräfte, die schon vor dem August-Putsch an der uferlosen Zuständigkeit des KGB und der mangelnden Kontrolle über ihn geübt worden war. Während des Putsches war der Geheimdienst paralysiert — Teile der ihm unterstellten Streitkräfte wie die 120. motorisierte „Rogatschow Bialystock“- Division verweigerte den Gehorsam und blieb in den Kasernen. Die Taktik der KGB-Führung, reguläre Armeekräfte unter ihr Kommando zu transferieren, ging nach hinten los. In einer Reihe von Republiken unterstellten sich die KGB-Stellen der Kontrolle ihrer Regierungen. In der russischen Föderation schließlich fielen KGB-Chefs in einer Reihe von Schlüsselgroßstädten von der Putschzentrale ab, wie das Beispiel des Leningrader KGB-Generals Kurkow zeigt, der zusammen mit dem Militärkommandanten der Region auf die Seite des Bürgermeisters Sobtschak und damit Jelzins überging.

Wenig spricht dafür, daß die zerhackte Riesenkrake KGB zu neuem Leben erwacht. Das am besten funktionierende Überbleibsel, die Auslandsspionage, strebt nach umfassender Kooperation mit dem CIA und möchte sich nach dessen Vorbild modeln. Operationen im eigenen Land werden künftig auf mindestens die gleichen Schwierigkeiten stoßen wie bei den amerikanischen Kollegen. Das Inlands-KGB hat die Verantwortung für „politische Straftaten“ vollständig an die Republiken abgegeben. Es soll sich auf die Bekämpfung der interrepublikanisch wirkenden Mafiosi konzentrieren, koordinieren und Daten sammeln. Das geschrumpfte Inlands-KGB wird sich am FBI orientieren, und die KGBs der Einzelrepubliken werden darüber wachen, daß sein Tätigkeitsgebiet die engen, vom Staatsrat vorgeschriebenen Grenzen nicht überschreitet. Der ehemalige Stabschef und zukünftige Chef der Grenztruppen des KGB Kalinitschenko hat es offenbar verstanden, den gegen ihn erhobenen Vorwurf, mit den Putschisten paktiert zu haben, zu entkräften. Ohnehin blieb die Grenztruppe vor, während und nach dem Putsch, was sie immer war: immobil und für Einsätze „im Innern“ ungeeignet.

Mit der Ernennung von Primakow, dem vielgereisten Orientalisten, gescheiterten Nah-Ost-Vermittler und engem Präsidentenberater, und von Bakatin, der noch von seinem liberalen Ruf als Innenminister der Jahre 1988 bis 1990 zehrt, versucht Gorbatschow, ein Stück künftiger Unionskompetenz vorwegzunehmen und propagandistisch zu verkaufen. Allein — sicher ist nur das Provisorium. Christian Semler