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Italiens Kadaver-Wahlkampf

■ Gerüchte um KGB-Geld für die KPI, CIA-Finanzierung der Christdemokraten, das Papst-Attentat, der Flugzeugabschuß von Ustica und der Mord an Moro sind die Hits der Schlammschlacht/VON WERNER RAITH

Es könnte, Korrespondenten sehen es mit gewissem Vergnügen, einer der komödiantischsten Wahlkämpfe aller Zeiten werden: noch steht nicht einmal fest, wann die Italiener zur Urne gehen müssen, doch schon ist die Schlacht an allen nur denkbaren Fronten in vollem Gang. Mittel dazu sind vor allem „Enthüllungen“ über allerlei dunkle Punkte der jeweiligen Gegner.

Schon voriges Jahr, man sprach erstmals von vorgezogenen Neuwahlen, „enthüllte“ im staatlichen Fernsehen ein angeblicher Ex-CIA- Mitarbeiter Finanzierungen der amerikanischen Geheimdienste für die kriminelle Geheimloge „Propaganda 2“, der eine Reihe christ- und sozialdemokratischer Minister, der Großteil der Generalität, alle Geheimdienstchefs und viele Bankiers und Presseleute angehört haben. Die Reaktion ließ nicht auf sich warten: Unverzüglich holte die gescholtene konservative Seite das Papst-Attentat von 1979 aus der Versenkung und ließ angebliche bulgarische Geheimdienst-Aussteiger den „Nachweis“ eines KGB-Schießauftrages für den Türken Ali Agca führen.

Auch hier wurde der Kronzeuge bald als Aufschneider enttarnt. Die Strategie änderte sich daher. Im Herbst 1990 fanden Maurer „zufällig“ in einer vor zehn Jahren millimeterweise durchsuchten ehemals konspirativen Wohnung in Mailand Papiere des 1979 von den Roten Brigaden ermordeten christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro mit bösen Anschuldigungen gegen seine eigene Partei — und Hinweisen auf eine illegale bewaffnete Struktur: der „Gladio“-Skandal begann, weiter vorangetragen durch einen jungen Untersuchungsrichter in Venedig, dem man linke Neigungen nachsagt. Die Regierung wackelte, da nahezu alle ihre hochrangigen Exponenten irgendwie in die Sache verwickelt schienen. Rache war also angesagt.

Und sie kam prompt. Plötzlich flatterten Dutzende von Dokumenten ins italienische Haus, in denen die Säulenheiligen der Linken, von Palmiro Togliatti bis Luigi Longo, böser Machenschaften mit Todesfolge für eigene Parteifreunde beschuldigt wurden; bis hin zum Verdacht, der von den Faschisten eingelochte PCI- Gründer Antonio Gramsci sei das Opfer seiner eigenen Leute geworden. Außerdem wurden in der Emilia Romagna, Hochburg der „Roten“, reihenweise Gräber Ermordeter ausgegraben — Beweis für die Füsilierungen echter oder vermeintlicher Kollaborateure mit den deutschen Besatzern durch Ex-Partisanen auch noch nach Kriegsende.

Die KPI suchte die zwar nicht gesicherten, aber unguten Verdächte dadurch loszuwerden, daß sie sich auflöste und eine neue Partei mit anderem Namen gründete, „Partei der demokratischen Linken“, kurz PDS. Als Gegenoffensive gegen fortdauernde Attacken legte die neue Formation ihren Finger auf eine Wunde aller Regierungen der letzten zehn Jahre: den Absturz einer DC9 der Fluggesellschaft „Itavia“ 1980, mit 81 Toten. Die Maschine war eindeutig von einer Rakete abgeschossen worden, doch die einander abwechselnden Regierungen hatten den Fall stur einem Materialschaden zugeschrieben.

Neueste Variante der Schlammschlacht: der sowjetische Geheimdienst KGB soll Italiens Kommunistische Partei nicht nur in der Nachkriegszeit gesponsert haben, sondern auch noch nach dem offiziellen Bruch Anfang der siebziger Jahre, ja sogar noch bis Anfang der 90er Jahre. Christdemokraten und Sozialisten, auf der Suche nach Ablenkung von Regierungsschwierigkeiten, rieben sich die Hände.

Da ergriff wieder einmal der unkalkulierbare Staatschef Cossiga das Wort — und erklärte derlei Enthüllungen für eine „Kopfblähung“: „Sicher haben die Kommunisten Geld von den Russen gekriegt, das ist doch ganz normal, es war doch Kalter Krieg. Aber damals haben alle Parteien Geld gekriegt — wir zum Beispiel von den Amerikanern.“

Entsetzen in der DC-Parteizentrale. Die „Enthüller“ mußten nachlegen: Kopien von KGB-Quittungen kursieren seither, persönliche Mitarbeiter des einzigen bisher unumstrittenen Kommunistenführers Enrico Berlinguer geraten in Verdacht. Da meldete sich ein enger Freund des 1984 Verstorbenen. Von wegen Sponsering, polterte Senator Emanuele Macaluso, jahrelang Chefredakteur der Parteizeitung 'L'Unitá‘, in einem Interview mit Panorama Anfang dieser Woche: 1973, während einer Visite in Bulgarien, habe der KGB den eben auf den Eurokommunismus zusteuernden Berlinguer mit einem provozierten Autounfall in Sofia zu ermorden gesucht; der Dolmetscher sei dabei umgekommen. Warum man diesen Vorfall 18 Jahre geheimhielt, konnte Macaluso jedoch auch nicht erklären.

Besser läßt sich wohl deuten, warum man darüber just heute spricht: Die Nachfolgepartei der Kommunisten kämpft ums Überleben. Mitleid könnte Stimmen bringen, zumindest aber die Breitseiten gegen die Honorigkeit der alten KPI—Kämpfer abfedern.

Nach dem Gesetz sollten die Italiener erst im Juni kommenden Jahres, fünf Jahre nach den letzten „elezioni politiche“, über die Zusammensetzung von Deputiertenkammer und Senat abstimmen. Doch für diesen Termin gibt es ein rechtliches und ein gewohnheitsrechtliches Hindernis: Nach der Verfassung darf das Parlament in den letzten sechs Monaten vor der Wahl eines neues Staatspräsidenten nicht aufgelöst werden — der aber muß nun ausgerechnet auch gewählt werden, und zwar wenige Wochen nach dem Parlament.

Diesem Problem haben Kammer und Senat dadurch abgeholfen, daß sie für den Fall eines solchen Zusammentreffens von Terminen die Auflösung auch während des sogenannten „weißen Semesters“ zulassen wollen. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß es bei Mitte nächsten Jahres bleibt.

Das zweite Hindernis für eine Wahl im Juni nämlich ist größer: Seit zwanzig Jahren haben Italiens Regierende keine Legislaturperiode mehr zu ihrem „natürlichen Ende“ kommen lassen, sondern immer vorzeitige Neuwahlen durchgeführt. Sieht man sich die seit mehr als einem Jahr steil ansteigende Konfliktkurve innerhalb der zunächst aus fünf, mittlerweile nur noch aus vier Parteien bestehenden Koalition an, kann man sich nur schwer vorstellen, daß es diesmal zu einem Termin nahe dem gesetzlich vorgesehenen Datum reichen wird. Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten und Liberale führen dem Volk, auch nach dem Ausscheiden der renitenten industrienahen Republikanischen Partei, tagtäglich vor, wie erbärmlich schlecht sie ihre Gesetze vorbereiten: Nicht eines kam in den letzten Monaten ohne grundlegende Revision durch, meistens wegen mangelnder Finanzierung. Sie zeigen, wie gleichgültig ihnen das Ergehen des Volkes ist. Steuern und Abgaben fressen längst weit mehr als die Hälfte der Einkünfte auf — ohne daß die öffentlichen Dienste wie Gesundheitswesen, Post oder Transport auch nur einigermaßen funktionieren. Und sie demonstrieren ungeniert, wie sie sich weiter selbst aus dem Haushalt bedienen: Trotz präziser Vorschläge des eigenen Schatzministeriums, der Nationalbank, der EG-Kommission und des Internationalen Währungsfonds gibt es keinerlei Aussichten auf eine ausgeglichene Bilanz, weil die Politiker unverfroren ihre jeweilige Klientel durch Postenschacher und Einrichtung immer neuer lukrativer Stellen für ihre Gefolgsleute bedenken. Ministerpräsident Andreotti, 72, Weltmeister im Hinhalten und Kleinkriegen seiner Gegner durch verschleißende Kämpfe, Weltmeister im oberflächlichen Zusammenflicken längst irreparabler Wracks und unerschöpflicher Produzent von Leerformeln, auf die sich dann alle bis zum nächsten Tag einigen, hat mit der Formel „Tirarte a campare“, Durchwurschteln, seine eigene Politik am besten gekennzeichnet.

Doch das Durchwurschteln kann jeden Tag zu Ende sein, Neuwahlen schon zu Jahresanfang sind nicht auszuschließen. So ölen die Parteimanager längst ihre Geschütze und justieren sie auf die jeweiligen Gegner.

Dafür hat ein christdemokratischer Partei-Außenseiter gesorgt: Mario Segni, Sohn eines früheren Staatspräsidenten, von den Sozialisten im Verein mit dem christdemokratischen Staatspräsidenten Cossiga voriges Jahr wegen impertinenter Denunzierung „kalter“ Staatsstreichpläne der Sozialisten und des Staatsoberhaupts mit Hilfe einer unsäglichen Enthüllungskampagne über den toten Segni senior aus allen parlamentartischen Ämtern gejagt. Segni, ein notorisch unkorrupter Mensch, leitete danach ein Referendum ein, mit dem die Anzahl der Stimmen pro Wähler auf eine einzige begrenzt wird. Bisher durfte der Wähler innerhalb einer Liste bis zu vier Kandidaten mit einem persönlichen Kreuzchen versehen, Grundlage für „Seilschaften“ innerhalb der einzelnen Parteien und Fundament des auszehrenden Klientelismus der Staatsverwalter. Da das Referendum erfolgreich war, muß nun jeder Kandidat einzeln für sich kämpfen, kann sich nicht mehr einfach dadurch empfehlen, daß er zur Seilschaft dieses oder jenes Ministers gehört.

Das ist auch die Erklärung für die überkreuzten, verknoteten gegenseitigen Vorwürfe und die Scharmützel selbst unter Parteifreunden. So lassen sich zum Beispiel die Enthüllungen über die Partisanengreuel in der Emilia Romagna als Aushebelungsmanöver jüngerer, unbelasteter Genossen gegen die alten Kader lesen. Die Berichte über die KGB-Finanzierungen wiederum sollten den KPI-Abweichler und Altstalinisten Armando Cossutta diskreditieren — schließlich hat der Gründer der alt- neuen Formation „Rifondazione comunista“ bei Regional- und Kommunalwahlen große Erfolge eingefahren; Cossutta revanchiert sich durch Andeutungen über ehrenrührige Geschäfte der Partei unter Berlinguer.

Die fröhlichen Hinweise von Staatspräsident Cossiga auf CIA- Sponser für seine eigenen Christdemokraten schließlich, zielen wohl vor allem darauf, seinen parteiinternen Intimfeind und dennoch aussichtsreichsten Kandidaten für seine eigene Nachfolge zu demontieren — Ministerpräsident Andreotti, der seine schillernde Karriere (er hatte in seiner Laufbahn zwei Dutzend Untersuchungsausschüsse auf dem Hals) mit dem höchsten Staatsamt krönen möchte.

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