: „Grüß Gott, Herr Devisenbeschaffer!“
Kirchenmann enthüllt Rätsel um Schalcks erstes konspiratives Domizil im Westen/ Ließ Bundesverkehrsminister Krause Schalck über Stasi-Kontakte de Maizières aushorchen?/ Fragezeichen hinter Innenminister Schäubles Aussagen ■ Aus Bonn Thomas Scheuer
Wer den wortgewandten Christenmenschen gestern im Bonner Schalck-Untersuchungsausschuß live erleben durfte, kann sich die Situation lebhaft ausmalen: Wie er da so ins Wohnzimmer seiner Mutter reinplatzt und seinen Gast ungeniert begrüßt mit den Worten: „Grüß Gott, Herr Devisenbeschaffer. Na, wo sind denn nun die Milliarden?“ Etwa in diesem Stil muß der Umgang zwischen dem Ex-DDR-Finanzakrobaten Alexander Schalck-Golodkowski und dem bayerischen Kirchenmann Dr. Markus Rückert ausgefallen sein. Letzterer bot am Donnerstag einen herzerfrischend-humorvollen Auftritt vor dem Ausschuß, der sich wohltuend von den drögen Darbietungen manches ministerialen Zeugen, auch mancher parlamentarischer Fragesteller, abhob.
Der Gottesmann lüftete das Geheimnis um den ersten geheimen Zufluchtsort Schalcks während der Wochen nach seiner Entlassung aus dem Untersuchungsgefängnis Moabit: 22 Tage lang lebten Big Alex und seine Sigrid in der Münchner Wohnung einer alten Dame — der Mutter Rückerts. Der Präsident des Diakonischen Werkes in Stuttgart und langjährige Schalck-Bekannte, Karl- Heinz Neukamm, hatte den Vorsitzenden des Kollegium Augustinum in München, eben den Christenbruder Rückert, um Hilfe bei der Wohnungssuche gebeten. Der brachte den prominenten Ost-Flüchtling samt Gattin schlicht bei Muttern unter. „So einfach geht es manchmal im Leben zu“, erklärte der Sohnemann gestern einem verblüfften Ausschuß. Die Schalck-Golodkowskis, die Mutter Rückert 660 Mark für Kost und Logis löhnten, seien unter dem Decknamen Gutmann aufgetreten.
Dem Ausschuß ging es bei Rückerts Anhörung um die Hintergründe eines Gesprächs zwischen dem damaligen CDU-Volkskammerabgeordneten Ralf Geisthardt und dem Übersiedler Schalck im September 1990. Eingefädelt hatte das Treffen der Bundesnachrichtendienst auf Drängen des Bundeskanzleramtes nach einem Gespräch zwischen Geisthardt und dem Staatsminister im Kanzleramt, Lutz Stavenhagen. Nach anfänglichem Sträuben willigte Schalck schließlich in das Treffen mit Geisthardt ein, nachdem ihm zu verstehen gegeben worden sei, dies sei von Bedeutung für seine Zukunft in der BRD. Bei dem Gespräch fragte Ralf Geisthardt den ehemaligen Chef der Kommerziellen Koordination und Stasi-Obersten dann nach möglichen Stasi-Verbindungen des damaligen Vorsitzenden der Ost-CDU, Lothar de Maizière. Schalck mußte jedoch passen.
Klärungsbedürftig scheint dem Untersuchungsausschuß vor allem, in wessen Auftrag der Ost-CDU- Mann Geisthardt sich seinerzeit auf dem Kanal über Kanzleramt und Geheimdienst an Schalck heranmachte. Der Ministerialdirigent im Kanzleramt, Peter Staubwasser, erklärte gestern, Geisthardt habe sich in Bonn als Vizevorsitzender des Volkskammerausschusses zur Stasi-Auflösung eingeführt. Zu dem Gespräch selbst, das dann in Mutter Rückerts Wohnzimmer stattfand, bat Schalck den Kirchenmann als neutralen Zeugen hinzu. Rückerts bestätigte Schalcks Aussage: Daß Geisthardt nämlich erklärt habe, von seinem Geheimtreff mit Schalck wisse nur der damalige DDR-Staatssekretär und heutige Bundesverkehrsminister Günther Krause. Der Verdacht liegt nahe, Geisthardt sei eher in parteipolitischer Mission als in seiner Eigenschaft als Mitglied des Stasi-Ausschusses in München gewesen. Was wiederum das Kanzleramt in ein fragwürdiges Licht rücken würde.
Zweifel wurden gestern an Aussagen des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble über drei Briefe laut, die er von Schalck 1990 und 1991 erhielt (s. taz v. gestern). Schäuble hatte am Mittwoch erklärt, die Briefe seien rein privaten Inhalts und für den Ausschuß völlig belanglos. Er wisse ohnehin nicht, wo sie sich derzeit befänden. Nach einem Bericht der 'FAZ‘ enthalten die vom BND dem Ausschuß übermittelten Geheimakten jedoch den Entwurf eines Briefes von Schalck an Schäuble vom 15.6.1990, in dem Schalck sich über die von Modrow angeordnete Umwandlung von SED-Parteifirmen in Staatsvermögen ausläßt. Zuständig, so Schalck, sei die KoKo-Topmanagerin Waltraud Lisowski. Auf Frage der Abgeordneten Ingrid Köppe hatte Schäuble am Mittwoch abend erklärt, den Namen Lisowski überhaupt noch nie gehört zu haben. Als Brieftaube zwischen Schalck und Schäuble soll Diakonie-Boß Neukamm fungiert haben, der nach einem Antrag des Bündnis 90/Grüne noch im Dezember als Zeuge geladen werden soll.
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