Neuartige Geographie in der Berliner Bahnhofshalle

■ Oder: Wie ein Beiruter beim Kauf einer Monatskarte lernte, wo Beirut liegt

Einmal wollte ich eine Wochenmarke für die U-Bahn kaufen. Ich ging zum Schalter und sah dort eine lange Menschenschlange stehen. Da überlegte ich, ob ich nicht besser eine Marke aus dem Automaten ziehen sollte. Ich drückte den richtigen Knopf und warf das Geld ein, aber es geschah nichts. Ich drückte eine andere Taste, um das Geld zurückzuerhalten. Aber es geschah nichts. Sofort ging ich zum Schalter zurück, um dem Schalterbeamten zu berichten, was mir passiert war. Als ich mich in die Schlange einreihte, beobachtete ich, wie ein anderer Mann am selben Automaten vergeblich versuchte, eine Marke zu ziehen.

Am Schalter saß ein älterer Mann. Als ich an die Reihe kam, erzählte ich ihm genau, was geschehen war. Der andere geschädigte Mann konnte dies durch sein Erlebnis bestätigen. Wieviel Geld ich denn in den Automaten eingeworfen hätte, wollte der Beamte wissen, und ich antwortete ihm, daß ich für 15 Mark eine Wochenmarke hatte kaufen wollen. Er suchte in einer kleinen Schublade und reichte mir ein postkartengroßes Formular. Ich schaute mir das schwer auszufüllende Formular an und überlegte kurz, ob es vielleicht besser wäre, aufzugeben und wegzugehen. Ich dachte, möglicherweise käme es sonst zu einem Verfahren, einer Klage mit all den damit verbundenen Unannehmlichkeiten. Aber gleichzeitig erinnerte ich mich an das verlorene Geld. Ich beschloß, den anderen geschädigten Mann um Hilfe zu bitten, und er erklärte mir, wie ich das Formular ausfüllen sollte.

Nachdem ich es dem Mann am Schalter überreicht hatte, verlangte der einen Personalausweis und die polizeiliche Anmeldung. Er kontrollierte meinen Namen und meine Adresse und gab mir die Unterlagen zurück. Ich sah, wie er hinter meinen Geburtsort Beirut in Klammern »in der Türkei« schrieb. Dabei murmelte er vor sich hin: »Die können überhaupt keine Formulare ausfüllen.« Ich korrigierte ihn: »Das ist falsch, was sie geschrieben haben. Beirut liegt im Libanon.« Mit lauter Stimme fuhr er mich an: »Erzählen Sie mir nichts, ich kenne meine Arbeit gut! Libanon liegt doch an der Türkei!« Das Lachen des anderen geschädigten Mannes, der hinter mir stand, schallte durch die ganze Bahnhofshalle.

Kommentarlos nahm ich das Geld und ging. Ramadan Mohamad