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Wo wart ihr?

■ Deutschland, zwei Jahre nach der Maueröffnung

Wo wart ihr? Deutschland, zwei Jahre nach der Maueröffnung

Am 10.November 1989 habe ich am Schlesischen Tor in West-Berlin rund 50 Bürger der ehemaligen DDR interviewt. Auf die Frage nach der Vereinigung oder Wiedervereinigung haben zwei mit „Ja — wir wollen“, und 48 mit „Wozu sollen wir das brauchen?“ geantwortet.

Eine weitere Frage bezog sich auf die Ausländer und Ausländerproblematik. Die meisten haben die erste Begegnung mit den in ehemals West-Berlin lebenden Ausländern positiv empfunden. Die Ausländerproblematik wurde meistens als Problem der Regierenden bezeichnet, und nicht der Bevölkerung. Nur zwei Personen haben (unter dem Einfluß der Westmedien) auf die hohe Kriminalitätsrate der ausländischen Jugendlichen hingewiesen.

Zwei Jahre sind vergangen.

Deutschland ist Deutschland geworden — „einig Vaterland“ für manche, verlorene Söhne und Töchter der DDR.

Die BRD existiert noch in Bonn; das Deutsche Reich in Hoyerswerda und woanders; Deutschland überall (und über alles).

Die Glücklichen, die damals die Grenze zwischen Ost und West zum erstenmal überschritten haben, haben an einen neuen Anfang geglaubt: daß die Deutsche Demokratische Republik wirklich demokratisch sein wird, ohne sich dem übermächtigen bundesrepublikanischen Nachbarstaat unterwerfen zu müssen.

Die in der BRD ansässigen Nichtdeutschen haben geträumt, daß der Wandel der Geschichte auch sie erfassen wird — eine multikulturelle Gesellschaft hatte doch eine reelle Chance.

Sichtbar wurde der Unsinn der Hetze gegen AsylantInnen, AusländerInnen, AussiedlerInnen, die als Flut und Schwemme bezeichnet wurden, obwohl sie zahlenmäßig in der Masse der Völkerwanderung einfach verschwanden, nachdem Abertausende aus dem Osten an einem Tag die westdeutschen Städte „überschwemmt haben“.

Der 9.November 1991 sieht aber nicht so aus, wie sie es sich gewünscht hätten: Das Vermögen der ehemaligen DDR ist vergammelt, verkauft oder plattgemacht; die Gesellschaft ist verunsichert und verwickelt in die Konkurrenzkämpfe auf dem (nicht zufällig) knapp gewordenen Arbeits- und Wohnungsmarkt; die neue Hackordnung in der Gesellschaft ist festgelegt; die Stimmung ist gereizt und die Gewaltbereitschaft nimmt zu.

Die Folgen und die Reaktionen sind bekannt. Wenn man sie beobachtet, scheint es, als ob nur ein Haufen Skinheads die Politik der neuen BRD in den letzten zwei Jahren gestaltet hat.

Jetzt wachen die Größen der deutschen politischen Szene auf und begeben sich in die Asylantenheime, streicheln fleißig die schwarzen Köpfe der Kinder der Wirtschaftsasylanten, schütteln die Hände derjenigen, die bald (nach dem neuen Ausländergesetz) abgeschoben werden sollen.

Wo waren sie damals, als die Springer-Presse, der Innenminister und seine Kollegen, die Hetze anfingen? Haben sie nicht gewußt, welche Folgen das Ausländergesetz, die Währungsunion, die skrupellose Vereinnahmung der DDR, die Arroganz der Wessis, die Asyldebatte, die Geschäfte der Treuhandanstalt, die verfehlte Wohnungspolitik mit sich bringen?

Aber auch: Wo war die Linke in der Zeit des Wandels? Wo waren unsere linksalternativen und grünen „Volksvertreter“? (Wir haben Euch nicht gewählt, weil wir nicht wählen dürfen!).

Wegschauen, Nichtstun, unter sich kleinkarierte Machtkämpfe führen, sich dem Unsinn der angeblichen Realität beugen, die Träume und die Utopie aufgeben, um das Tempo 30 in die alternative Politik einzuführen, ist eine Bilanz der letzten zwei Jahre.

Als Konsequenz wurde die Diskussion über offene Grenzen eingestellt. Statt dessen soll ein Einwanderungsgesetz erarbeitet werden — eine „Schleuse“, die nach Bedarf AusländerInnen rein oder abschieben läßt.

Solche „humanitären Vorschläge“, die den Ausländergesetz-GegnerInnen die Augen auswischen sollen, gleichen dem mutigen Vorstoß in die Antiausländerpolitik, den Rita und Richard schon vorgenommen haben: Asylantenhände schütteln — kurz vor der Abschiebung. Witold Kaminski

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