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Gebremste Vorfahrt für die »Stadtbahn«

■ Verkehrssenator Haase stellt Weichen für moderne Straßenbahn in Berlins Mitte und im Westteil/ Gleichzeitig konkurrierende Pläne zum Weiterbau von U-Bahnen in der Innenstadt/ Straßenbahn soll schon nächstes Jahr aus der Friedrichstraße verschwinden

Berlin. Die Kritik an den früheren »Schrumpfbahnplänen« hat — in Maßen — gefruchtet: Verkehrssenator Herwig Haase will die östliche Berliner Mitte jetzt doch wieder direkt mit der Straßenbahn erschließen und mit der City im Westteil verbinden. Darüber hinaus nannte er das Ziel, die ehemals an der Mauer endenden Strecken kurzfristig zu verlängern und das vorhandene Netz weiter zu komplettieren. Die Straßenbahn solle zum gesamtstädtischen »Rückgrat« des Nahverkehrs entwickelt werden, versprach Haase am letzten Freitag bei der Vorstellung des umgearbeiteten Tramkonzepts.

Nach seinen Plänen wird das heute 176 Kilometer lange Straßenbahnnetz in einer ersten Baustufe bis zum Jahre 2000 auf etwa 200 Kilometer ausgebaut. Kosten einschließlich Instandsetzung der übrigen Strecken, dem Umbau von alten Tatra-Wagen sowie den Kauf neuer Niederflurfahrzeuge: rund zwei Milliarden Mark.

Immer noch sind aber auch Streckenstillegungen vorgesehen: Im Köpenicker Netz soll die Strecke nach Altglienicke stillgelegt werden. Neben der Tram in der Schönhauser Allee und der Rosenthaler Strecke ist auch die östliche Innenstadt von Stilllegung bedroht. Entgegen dem Top- Wunsch der BVG nach einer Tramanbindung der Flaniermeile soll schon ab dem nächsten Jahr keine Straßenbahn mehr durch die Friedrichstraße rollen. Wie der Verkehrssenator erklärte, reicht die unter der Friedrichstraße entlangführende U- Bahn-Linie 6 aus, weil die Stationen relativ eng beieinanderlägen und deren Bahnsteige noch verlängert würden. Bis alle Bahnsteige der Linie 6 verlängert sind, dürften indes noch mindestens zehn Jahre ins Land gehen.

Nach Auffassung der BVG wird die Linie bei einer angenommenen zusätzlichen Verkehrsnachfrage im gesamten Innenstadtbereich von bis zu 700.000 Fahrten lange vorher ihre Leistungsgrenze erreicht haben. Auch der zur besseren Nahverkehrserschließung der Innenstadt immer wieder aufs Tapet gebrachte Neubau von U-Bahn-Linien ist aus BVG- Sicht »weder aus finanziellen noch aus zeitlichen Gründen ein gangbarer Lösungsweg«; für Kurzstreckenfahrgäste stelle die Untergrundbahn ohnehin keine Alternative zu einer an der Oberfläche fahrenden »Stadtbahn« dar.

Doch Verkehrssenator Haase will durchaus mehrere teure U-Bahn- Verlängerungen. So führte sein oberster Verkehrsplaner Ural Kalender aus, daß »in nächster Zukunft« die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 über den Alexanderplatz hinaus zum Lehrter Bahnhof »Priorität« erhalten werde.

Die von Hönow kommende Linie solle unter der Französischen Straße und dem Pariser Platz zunächst bis zum Reichstag führen. Sollte aufgrund des Wohnungsbaus im Nordosten der Stadt auf der wichtigen Verkehrsachse Potsdamer Platz — Alexanderplatz — Weißensee/Hohenschönhausen künftig selbst eine moderne »Stadtbahn« dem Fahrgastansturm nicht gewachsen sein, müsse auch an eine entsprechende Verlängerung der U-Bahn-Linie 3 gedacht werden, so Kalender. Freilich mußte der Senator einräumen, daß für derartige U-Bahn-Bauvorhaben zu Lasten der Straßenbahn »gegenwärtig keine Finanzmittel da sind«. Trotzdem sah es Haase als sinnvoll an, beim Bau des neuen Nord-Süd-Tunnels der S-Bahn im Bereich des Spreebogens schon einmal einen zweiten Tunnel für die U- Bahn zu graben.

»Schwer erschüttert« über die Verbannung der Tram aus der Friedrichstraße zeigte sich unterdessen der Sprecher der Interessengemeinschaft Eisenbahn und Fahrgastbelange (IGEB), Matthias Horth. Horth: »Fahrgäste müssen dann vor Erreichen der Friedrichstraße noch mal umsteigen — entweder an der Chaussee-/Ecke Invalidenstraße oder am Alexanderplatz. Das ist ein Skandal ohnegleichen.« Eine »wichtige und richtige Sache« der Haase- Planer sei demgegenüber die Verlängerung der Straßenbahnstrecke zum Halleschen Tor über die Lindenstraße, weil hierdurch ein Gebiet mit vielen Arbeitsstätten erschlossen werde. Freilich fahre die Tram dafür nicht über die Oberbaumbrücke. Fazit des Fahrgastvertreters: »Das BVG-Tramkonzept ist besser.«

Das sind die geplanten Neubaustrecken

Für diese Strecken sollen vordringlich Planfeststellungsverfahren eingeleitet werden: Bornholmer Straße — U-Bhf. Osloer Straße — U-Bhf. Seestraße; Eberswalder Straße — U- Bhf. Bernauer Straße — Invalidenstraße — S-Bhf. Lehrter Bahnhof; Prenzlauer Tor — S- und U-Bhf. Alexanderplatz — Spandauer Straße — U-Bhf. Spittelmarkt — Leipziger Straße — S- und U-Bhf. Potsdamer Platz — Kulturforum.

Insgesamt sollen bis zur Jahrtausendwende in der Innenstadt folgende Strecken gebaut werden: Liebknechtstraße — Leipziger Straße — Kulturforum; Spandauer Straße — Hackescher Markt; Hans- Beimler-Straße — Alexanderplatz — Lehrter Stadtbahnhof; Bernauer Straße — Invalidenstraße — Lehrter Stadtbahnhof — Alt-Moabit (Turmstraße); Bornholmer Straße — Osloer Straße — Seestraße; Revaler Straße — S-Bhf. Warschauer Straße; Andreasstraße — Köpenicker Straße — Spittelmarkt; Spittelmarkt — Lindenstraße — Hallesches Tor; Potsdamer Platz — Lehrter Stadtbahnhof; die Ostseestraße und die Sonntagstraße (Ostkreuz). Thomas Knauf

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