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Minusrekord auf allen Ebenen des Dilettantismus

■ Lokalmisere in Berlin: Hertha BSC siegt beim Auswärtsspiel im Olympiastadion 3:0 gegen schlechte Blau-Weiß-90er

Charlottenburg. Es ist nun wirklich nichts Außergewöhnliches, gerade dann besonders vorlaut zu sein, wenn die eigene Situation nicht so richtig angenehm ist. So hielten es auch die Blau-Weißen vor dem Lokalderby gegen Hertha BSC und haben sich damit, ja, anders läßt es sich wohl nicht sagen, doch arg lächerlich gemacht.

»Ich bin mir hundertprozentig sicher«, hatte Blau-Weiß-Trainer Wolfgang Metzler auf die Frage geantwortet, ob denn sein Team gewinnen könne. Mit einer schlüssig wirkenden Begründung: »Im Vergleich zu Hertha verfügen wir über das eindeutig bessere Spielerpotential und bessere Nerven.« Soso, aha, mh.

Bloß — wo waren diese dermaßen gepriesenen traumhaften Fähigkeiten der Mariendorfer beim angeblichen Spiel des Jahres? Was es schließlich zumindest für die bescheidenen Relationen des Berliner Fußballs sein sollte, was ja auch stimmt, wenn sich die beiden besten Hauptstadt-Fußballmannschaften in der zweiten Liga treffen, um sich finanziell und sportlich in noch finsterere Abgründe schubsen zu wollen.

Und, um das Spannendste gleich an den Anfang zu stellen, diese Angelegenheit scheint entschieden. Wie gesagt, die von Herrn Metzler was weiß ich woher geholten Vorzüge der Blau-Weißen fehlten ebenso kraß wie die Fans. Noch nicht mal 10.000 waren es, d.h., wieder mal ein spitzentoller Minusrekord.

So war die Kulisse fast so grauselig wie die blau-weiße Leistung. Dies verhalf der Hertha nicht nur zur Selbstdarstellung, sondern auch zum ersten Auswärtssieg der Saison; sie war ja schließlich Gast im Olympiastadion. Und wirbelte los wie ein Herbststurm, der dem vertrockneten blau-weißen Baum auch das letzte Blättchen vom Zweig pustete. Keine Viertelstunde war vergangen, da hätte die Hertha schon drei Tore geschossen haben müssen, doch was die Stürmer so bräsig vergaben, nutzte wenig später ein defensiver Spieler. Norbert Schlegel, eigentlich zum Bewachen Jürgen Mohrs auf dem Platz, stand ganz allein auf dem Elfmeterpunkt und köpfte artig zum Dank Baslers Flanke ins Tor. Das sollte es erst mal gewesen sein, zum Glück für Blau-Weiß, die überhaupt nichts Vernünftiges zustande brachten. Nur Chaos in der Abwehr, nie gesehene Mißverständnisse im Mittelfeld und nie gesehene Stürmer.

Immerhin wurde das Spiel in der 2. Hälfte ausgeglichener, die Hertha ließ doch etwas nach in ihrer Leistung, so daß zwei Blau-Weiße doch noch auf das wieder von »Huhu-Walter« Junghans bewachte Tor bolzen durften. Erst Torsten Schlumberger mit einem unfreiwillig raffinierten Bananenschuß genau dorthin, wo sich Latte und Pfosten treffen, und wenig später der frisch eingetauschte René Deffke, der bei einem Solo wohl mehr an seinen krummen Beinen scheiterte als am Torwärter.

Wie das aber so ist bei einem Rückstand, muß, heißt es immer, hinten aufgemacht werden. Was es auch bedeuten mag, die Hertha hätte dadurch exzellent kontern können, nur verpaddelte sie die meisten Möglichkeiten so peinlich, daß solch unangenehme Szenen hier nicht beschrieben werden sollen. Eher schon die beiden anderen Tore. Es war so schön, wie Kretschmer beim zweiten den Ball mit der Hand vorlegte oder Lünsmann beim dritten einige Siebenmeilenschritte im Abseits stand, egal, im Endeffekt ist es schon in Ordnung, sowieso, genau, daß Hertha dies Spiel gewinnen durfte.

Zusätzlich hat sie sich damit einiger Sorgen entledigt. Die Teilnahme an der Aufstiegsrunde im nächsten Jahr ist bedrohlich nahe gerückt, die Saison somit sportlich und finanziell gesichert. Bei den Blau-Weißen schaut's dagegen schlecht aus. »Wer diesmal verliert, wird die Aufstiegsrunde nicht mehr erreichen können«, weissagte deren Präsident Hünerberg und hat wohl pechlicherweis recht. In diesem Falle wird der ohnehin finanziell schwächliche und von BesucherInnen verschonte Verein noch weiter abstürzen.

Aber keine Bange, der Berliner Fußball wird weiter in seiner wunderbaren Provinzialität herumdilettieren. Auch wenn der realistischste aller Fälle eintritt — Blau-Weiß steigt ab, Hertha nicht auf —, wird selbst ein Herr Willi Daume mit seinen seltsamen Vorhaben zur Rettung des Berliner Fußballs sich lächerlich machen. Unser Tip, damit er's in Zukunft sein läßt: ins Olympiastadion gehen und auf die dortige Uhr schauen; die steht nämlich schon seit Monaten auf drei nach zwölf. Schmiernik

Hertha BSC: Junghans - Bayerschmidt - Scheinhardt, Winkhold - Basler, Schlegel, Hausmann, Gries (66. Kretzschmer), Görtz - Rath (83. Lehmann), Lünsmann:

Tore: 0:1 Schlegel (24.), 0:2 Kretzschmer (80.), 0:3 Lünsmann (89.)

Der treue Schreiber Schmiernik, der sich seit Jahr und Tag nicht schrecken läßt von den Unwegbarkeiten der Berliner Fußballszene, hat heute seinen 29. Geburtstag! Es gratuliert gerührt: die taz-Sportcrew.

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