: Jüdische Gemeinden warnen vor Ausländerhaß
■ Gedenkfeier zur Reichspogromnacht vor 53 Jahren/ Jüdischer Weltkongreß sieht die Gefahr eines neuen Rechtsradikalismus/ Nicht die Juden werden als Minderheit heute in Deutschland bedroht, sondern Ausländer
Berlin. Am Wochenende erinnerten Politiker und jüdische Institutionen daran, daß am 9. und 10. November 1938 der Traum einer deutsch- jüdischen Symbiose zerbrach. Die zentrale Gedenkfeier fand gestern im Haus der Jüdischen Gemeinde in der Fasanenstraße statt.
In Abweichung vom Redemanuskript widersprach der Vorsitzende des Zentralrats, Heinz Galinski, der These von Bundespräsident Weizsäcker, daß es in Deutschland keinen Rechtsradikalismus gäbe. Den gäbe es sehr wohl, meinte Galinski, und wies darauf hin, daß alleine an diesem Wochenende zwei neue rechtsradikale Organisationen gegründet wurden und die Angriffe gegen die »Schwächsten der Gesellschaft« unvermindert fortgehen. Der Rechtsstaat sei im doppelten Sinne gefordert. Er müsse sein Durchsetzungsvermögen gegen Gesetzesbrecher beweisen und gleichzeitig den Bedrohten Schutz garantieren.
Diese Worte Galinskis wollte der Regierende Bürgermeister Diepgen keinesfalls als eine Kritik an der staatlichen Unfähigkeit, Asylbewerber zu schützen, stehenlassen. Diepgen relativierte die Gefahr von rechts, indem er die »Diffamierung von Minderheiten« und das »Besudeln von Gedenkstätten« als ein Werk von »Wirrköpfen« abtat. Kein Wort davon, daß die »Diffamierung« von Minderheiten alleine im vergangenen Jahr zehn Menschen das Leben gekostet und daß Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit soziale Ursachen haben, die mit Gesetzen alleine nicht zu bekämpfen sind. Hier war es der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe, der zu diesem Thema klare Worte fand und die politische Debatte über eine Einschränkung des Asylrechts mitverantwortlich für das mit »dumpfen Ressentiments aufgeladene Stammtischgerede gegen alles Fremde« machte. Nicht ein einziger Redner hielt es im übrigen für notwendig, die riesigen Demonstrationen gegen Gewalt und Fremdenhaß in Frankfurt oder Berlin auch nur mit einem Wort zu erwähnen.
Beendet wurde gestern auch eine Tagung des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC) über die Konferenz in Madrid, der Situation der Juden in Osteuropa und über den »erschreckenden Rechtsextremismus« in Deutschland. Auf der Gedenkfeier forderte der Präsident, der Franzose Jean Kahn, das letztjährige Versprechen von Bundeskanzler Kohl ein, daß »Europa ein Kontinent der pluralistischen Gesellschaft, der offenen Grenzen« sein müße. Diese Aussage stände im Widerspruch zu dem Fremdenhaß auf deutschem Boden und der Gleichgültigkeit, die ein Teil der Bevölkerung Gewalttätern jetzt entgegenbringe. Der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, Singer, betonte, daß heute nicht die Juden als Minderheit in Deutschland diskriminiert werden, sondern »die Ausländer«. Deshalb tage der EJC an diesem 9. November in Berlin, »nicht um die Juden zu schützen, sondern um den bedrohten Ausländern in Deutschland zu zeigen, daß er zu ihnen steht.« Singer forderte ein klares und eindeutiges Wort der politischen Fühung Deutschlands. aku
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