: Wie gut, daß es „Schwester Karla“ gibt
Am 9. November wanderten 10.000 Menschen durch Nürnberg und dankten Gott für den Fall der Mauer/ Kulturreferentin Karla Fohrbeck, die sich seit ihrer Erleuchtung als Werkzeug des Herren versteht, mit fliegenden Fahnen vorneweg/ Alles lacht ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
„Gott ist gut“ singen 10.000 Menschem mit verklärtem Blick am 9.November auf dem Nürnberger Hauptmarkt. Einige tanzen freudestrahlend, andere halten ihre selbstgemalten Transparente mit den Aufschriften „Jesus liebt dich“ und auf schwarz-rot-goldenem Stoff „Gott liebt Deutschland“ oder „Deutschland wird errettet“ in die Höhe.
Während in Deutschland an diesem 9. November Hunderttausende auf die Straße gehen, um ihren Protest gegen den wachsenden Rassismus zum Ausdruck zu bringen, feiern in Nürnberg evangelische und charismatische Christen mit ihrem „Marsch für Jesus“ den Fall der Mauer als „große dramatische Demonstration, daß das Reich Gottes nach Deutschland gekommen ist“. Auch Karla Fohrbeck, Nürnbergs Kultur- und Schulreferentin, ist mit einer selbstgebastelten Fahne dabei und freut sich, daß „Gott seine Gnade über Nürnberg ausgeschüttet“ habe. Die Führer des christlichen Fundamentalismus nennen sie schlicht, aber liebevoll „Schwester Karla“.
Der „Marsch für Jesus“ ist der Höhepunkt des „Kongresses für Erweckung und Gemeindeaufbau“, mit dem lutherische, evangelikale und charismatische Christen zu einer „neuen Gemeinsamkeit aufbrechen“ und die christliche Lehre offensiv vertreten wollen. Etwa fünftausend Teilnehmer haben ihre 170 Mark Tagungsbeitrag bezahlt, um im Nürnberger Messezentrum vier Tage lang über den Aufbau von neuen Gemeinden, die „Volkskirche der Zukunft“ und die „Erweckung“ zu reden, zu beten und zu meditieren. Sowohl der bayerische Landesbischof Johannes Hanselmann, der Ex-Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Martin Kruse als auch Nürnbergs sozialdemokratischer Oberbürgermeister Schönlein ließen es sich nicht nehmen, dem Kongreß Erfolg zu wünschen. Wohin der neu „erweckte“ christliche Fundamentalismus führen soll, gibt der „Vater“ der Gemeindeaufbaubewegung Peter Wagner aus Pasadena (Kailfornien) preis. „Weniger sexuelle Unmoral, weniger Abtreibung, weniger Korruption und weniger Pornographie“ heißt das Ziel der Saubermänner.
Als Beweis führt er die deutsche Wiedervereinigung an. Da habe „der Himmel die Fäden“ gezogen. „Wenn Gott das in Deutschland in so kurzer Zeit schafft, dann ist alles andere auch möglich.“ Deshalb beten sie für „unser Land und Volk“, damit das Zusammenwachsen Deutschlands, gebaut „auf christlichem Fundament“, „ein Segen für einen ganzen Kontinent“ werden könne. Auch Loren Cunningham, Chef der weltweit agierenden „Jugend mit einer Mission“, hat eine „Vision für Deutschland“, denn Deutschland werde „eine Schlüsselfunktion in der kommenden Erweckung einnehmen“. Auf dem für nächstes Jahr in Berlin geplanten „Marsch für Jesus“ sollen dann hunderttausend „durch die Straßen der deutschen Hauptstadt“ ziehen. Prominenteste Protagonistin dieser „erweckten“ Christen in Nürnberg, wo an diesem 9.November das „Reich Gottes mächtig aufgeleuchtet“ haben soll, ist Nürnbergs Schul- und Kulturreferentin Karla Fohrbeck. Oberbürgermeister Schönlein sorgte zwar dafür, daß seine parteilose Referentin nicht das Grußwort des Kongresses sprechen durfte, doch die 49jährige ließ es sich nicht nehmen, auf der offiziellen Pressekonferenz zu verkünden, daß sie eine „Blume im Garten Gottes“ sei. „Gott ist keine Privatsache“ verkündete denn auch die langjährige Leiterin des renommierten Bonner „Zentrums für Kulturforschung“, die im Mai 1990 Hermann Glaser nach 26jähriger Amtszeit in Nürnberg abgelöst hat. Karla Fohrbeck fühlt sich wohl auf dem Kongreß, wo sie „so viel Liebe“ entdeckt, und Christenchef Peter Wagner ist froh, wie offensiv „Schwester Karla“ ihr vor vier Jahren stattgefundenes „religiöses Coming-out“ vorlebt.
Erste Amtshandlung — ein Kruzefix ins Büro
Weniger glücklich ist der weit über Nürnberg hinaus bekannte Fohrbeck-Vorgänger Glaser. „Es ist schon schlimm, aber wo ich hinkomme, lachen die Leute über Nürnberg“, klagt der Kulturpolitiker, dessen Wunschkandidatin für seine Nachfolge die Trägerin des Kulturpreises des DGB war. Jetzt müssen Glaser aber auch SPD und Grüne, die beide „Schwester Karla“ gewählt hatten, mit ansehen, daß die Amtschefin von viertausend Mitarbeitern ihren Glauben nicht mehr nur als Privatsache betrachtet. Als erste Amtshandlung ließ sie ein über zwei Meter hohes Kruzifix in ihr Amtszimmer hieven.
Aus dem Reichsparteitagsgelände wollte sie einen „zentralen Ort der Besinnung“ machen, mit Bibelzitaten die Opfer mit den Tätern versöhnen und damit ein „erneuertes Nationalgefühl“ auf die Bahn bringen. Sie bezeichnete die NS-Herrschaft als „Satanskult“ und „Massenhypnose“, hinter dem Holocaust vermutete sie eine „verdrängte Gottesbeziehung“.
Im Sommer wurde dann eine Rede, gehalten vor der charismatischen „Freien Christengemeinde“ im Nürnberger Stadtteil Langwasser, publik. Darin gab „Schwester Karla“ kund, daß Gott sie „kräftig am Baum der Erkenntnis“ habe „naschen lassen“, ihr „Lichtengel“ erschienen seien und das Konzept für das Reichsparteitagsgelände ein „Auftrag“ Gottes gewesen sei. „Letztlich hat Gott was vor mit mir in Nürnberg“, bekannte sie vieldeutig. Während Grüne und SPD nun den Rücktritt von Karla Fohrbeck forderten, entdeckten plötzlich die Amtskirchen samt der örtlichen CSU ihr Herz für die „Märtyrerin“. Sie warnten vor einer „Hexenverfolgung“, zogen Vergleiche zur Gestapo und zur Stasi und mahnten „religiöse Toleranz“ an.
SPD und Grüne stecken nun in einer Zwickmühle. Der Vertrag von Karla Fohrbeck läuft bis 1996, eine Möglichkeit der Kündigung besteht nicht. „Da ist nichts zu machen, das muß sie selber wollen“, betont SPD- Fraktionsvorsitzender Jürgen Fischer. Doch auch er weiß, daß „Schwester Karla“ schließlich in „höchstem“ Auftrag in Nürnberg wirkt. Die Grünen wollen nun nicht mehr länger warten, zumal sie der Referentin „Mangel an politischer Kompetenz“ vorwerfen, da sie einen Ausverkauf der Errungenschaft von zwanzig Jahren Nürnberger Kulturpolitik betreibe.
Bestbezahlte Charismatin
Als Ansatzpunkt soll jetzt Fohrbecks ablehnende Haltung gegenüber Heavy-Metal-Rockmusik dienen. Fohrbeck soll versucht haben, ein Projekt eines Nürnberger Künstlers mit Heavy-Metal-Musik aus dem 1992 geplanten Kulturprojekt „Facing America“ zu kippen, da sie dieses als „Verherrlichung des Satans“ betrachte. Die Grünen sehen darin einen klaren Verstoß gegen das Zensurverbot gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes. Der Ältestenrat soll nun ein Gutachten über eventuelle dienstrechtliche Konsequenzen anfordern, um den Anfang vom Ende der Ära Fohrbeck einzuläuten. Bis dahin wird aber „Schwester Karla“ mit einem monatlichen Salär von knapp 12.000 Mark die wohl am besten aus Steuermitteln bezahlte Propagandistin der charismatischen Christen bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen