: Mit einem inspirierenden Paradox leben
■ Philippinische Künstler wie der Maler Jun Frogosa, die Jazzmusikerin Carolyn Carreon del Rosario oder der Komponist Conrado del Rosario finden in Berlin mehr Anerkennung als zu Hause/ »Auf den Philippinen ist man nur jemand, wenn man im Ausland Erfolg hatte«/ Freiraum für Unerprobtes
»Nach den politischen Veränderungen wird Berlin noch mehr zu bieten haben«, sagt der philippinische Maler Jun Frogosa. Er hofft, daß sich Berlin auf den Trümmern der Mauer zu einer Stadt für Künstler mit neuen Ideen entwickelt. Mehr Leute aus Ost und West kämen jetzt in die Stadt, und trotz aller Aufregungen und Verwirrungen, glaubt er, würde sich die Kunst und mit ihr das Geschäft zum Besseren entwickeln.
Ostberliner KünstlerInnen treffe man nun auch in der Westberliner Szene an. Während sie in den Jahren zuvor unter den neugierigen Augen der Stasi politische Opposition durch ihre Kunst ausgedrückt hätten, sei ihre Kunst jetzt frei.
Jun Frogosas Kunst ist stark von der postmodernen neoexpressionistischen Schule beeinflußt. Er verwendet sehr viel melancholisches Grau für die figurativen Elemente seiner Bilder. Warum? »Es muß das deutsche Klima sein«, sagt er. Wahrscheinlich aber ist es auch die Einsamkeit, weil er soweit weg von zu Hause sei, fügt er nach einigem Nachdenken hinzu.
Vielleicht hätten Juns Bilder auch die Farben des ewigen Sommers der Philippinen annehmen können, doch das ganze letzte Jahrzehnt lang war Deutschland seine Heimat. Er hat sich den Strömungen der europäischen Kunst angeschlossen und ist in ihnen gewachsen. Denn hier erst wurde er Künstler. Und dafür, daß seine Kunst so ist, wie sie ist, will und braucht er sich wirklich nicht zu entschuldigen. Vor Wochen erst wurden seine Bilder in einer Einzelausstellung gezeigt.
Carolyn Carreon del Rosario ist eine Jazzmusikerin, die öfter im Quasimodo auftritt. Seit neun Jahren macht die Pianistin hier in Berlin Jazz: »Auf den Philippinen ist es für Frauen in der Jazzmusik weit schwieriger als hier. Die Männer dominieren die Szene«, sagt Carolyn. Nach ihrem Musikstudium an der Universität der Philippinen kam sie nach Berlin, weil sie dachte, ihr Handwerk könne sie hier am besten entwickeln.
Im vergangenen Jahr hat Carolyn einen Kompositions-Wettbewerb des Kultursenats gewonnen und das »Carolyn del Rosario Sextett« gegründet, in dem auch der New Yorker Frank Lacey spielt. Neben den Auftritten im Quasimodo macht sie Touren in Deutschland. Paris könnte die nächste Station sein — und vielleicht auch New York.
»Musik ist schon immer in die philippinische Seele eingegraben gewesen«, erklärt Carolyn. Alle 7.100 Inseln seien immer noch Resonanzboden für die Substanz der traditionellen Volksmusik: feierlich, ergreifend oder schmerzlich im Kreislauf von Leben und Tod.
Conrado del Rosario, ein philippinischer Komponist in Berlin, nimmt kein Blatt vor den Mund: die »Kalingga«-Musik aus den Bergdörfern der nördlichen Philippinen sei die beste der Welt. Er schätzt die epische Qualität der Eingeborenen-Musik, mit der die Geschichten der alten Väter bis heute überlebt hätten. »Die Struktur ist wichtig, so wichtig wie der Plot eines Romans.«
Conrados Musik enthält Anspielungen auf die asiatischen Rhythmen, verschnitten mit europäischer Spieltechnik — das, was westliche Kritiker als »New Music« bezeichnen würden. In Europa fehlt es nicht an Zustimmung für del Rosarios Musik. »Darangun«, ein Stück für Solo- Violine, das auf der südphilippinischen Lyrik der Maranaw (»Kundarangun«) basiert, gewann unter 300 international eingegangenen Musikstücken den Kompositionswettbewerb von Neustadt an der Weinstraße.
In diesem Jahr hatte die Kulturverwaltung Conrado als einen von fünf jungen Komponisten für ein Konzert ausgewählt, das das Sharoun-Ensemble im österreichischen Salzburg gab. Außerdem spielt Conrado im »Berlin Improvising Composer's Ensemble« (BICE) und erprobt dort zusammen mit vier deutschen Musikern New Music.
Trotz aller Energie und allen Talentes sind die philippinischen Künstler in Berlin von Problemen geplagt. »Die sind meist finanzieller Art«, sagen alle drei. Carolyn war zuallererst Putzhilfe in Kreuzberger Haushalten, Conrado arbeitete fast jede Nacht als Pianist in Berliner Bars.
Warum haben sie trotz solcher öden Jobs die Philippinen verlassen? Es sei ihnen darum gegangen, ihre Kunst auch ausüben zu können, sagen sie. Die ganz harten Zeiten haben sie immerhin schon hinter sich. Die Anerkennung kommt langsam, und auch Aufträge gibt es schon, die Freiräume für eigene künstlerische Projekte eröffnen.
Zu Hause in Manila sei es schwierig für diejenigen, die experimentieren wollen und sich in noch nicht Bewährtem versuchten. Popkultur sei immer noch die am weitesten verbreitete Norm oder Vorstellung. »Außerdem ist man auf den Philippinen nur jemand, wenn man im Ausland Erfolg hatte. Sonst läuft nichts, nur für dich alleine schaffst du es dort nicht.«
Das sei schon ein wenig doppelmoralisch, meint Carolyn mit ein wenig Ärger in der Stimme. Und Conrado fügt hinzu: »Die eingeborene Musik der verschiedenen Volksstämme ist bei uns so wenig geschätzt, daß ihr Wachstum langsam erstickt wird.«
Hier in Deutschland werden Carolyn del Rosario, Jun Frogosa und Conrado del Rosario inzwischen auch von etwas größeren Kreisen anerkannt. Jun arbeitet mit Kollegen aus Westdeutschland, Polen und der Sowjetunion zusammen und ist Mitglied des Berufsverbands Bildender Künstler. Conrado und Carolyn sind in der Kulturverwaltung wohlbekannt. Die drei definieren ihre Kunst auf eigene Art. Manches, so räumen sie mit Schmerzen ein, könnten sie einfach zu Hause nicht machen. Denn auf den Philippinen werde Kunst, sei sie nun eingeboren oder westlich, hauptsächlich von Akademikern und einem kleinen Eierkopfpublikum wahrgenommen.
»Das Klima hier fordert geradezu zum Geniestreich heraus«, erklärt Jun Frogosa. Hier arbeiteten Leute zusammen, für die andere Kulturen, zum Beispiel die asiatische, neu und inspirierend seien. Es scheint, daß philippinische Künstler im Ausland noch lange mit diesem Paradox leben werden müssen. Das, was Manila verliert, gewinnt Berlin. Babette Resurreccion-Sayo
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