: Das Letzte am Norden
■ Werder Bremen gewann beim Hamburger SV mit 1:0 Rehhagel wurde begnadigt, Schock ist gestraft
Hamburg (taz) — Jürgen Flimm, Intendant des Hamburger Staatstheaters Thalia, und Helmut Lohner, Bühnen- und Fernsehstar, winkten heftig und strahlten hinter ihren bunten Brillen. Da sah der Angewunkene sie endlich auch und bahnte sich den Weg durch schnödes Presse- und Vereinsvolk zu diesen gleichgesinnten Geistern. Otto Rehhagel, der Fußballregisseur, war tief zufrieden. Er hatte inszeniert, und seine Freunde würden Grund haben, ihm zu gratulieren.
Was machte es da schon, daß 20.600 Zuschauer ungehalten waren, sich bei der 55. Auflage des Nordderbys weder für die Darstellungen von Werder Bremen noch für die des Hamburger SV erwärmen konnten? Was störte es Rehhagel, daß eine Partie, in der die Seinen gedrillte Plansoll-Offensive zeigten, während das Hamburger Statistenensemble Irrungen und Wirrungen aufführte, den Abend im Volksparkstadion für das Publikum auf gemeinsames Frieren reduzierten?
Otto Rehhagel hatte 1:0 gewonnen, er hatte es allen gezeigt, daß sein Rasenschach-Verständnis vom Fußballspiel zu Punktsiegen allemal reicht. Und er wußte den Erfolg zu genießen, mit fast schon gemeiner Milde. Bereits am vergangenen Mittwoch, als die Werderaner nach herben Schlappen in der Bundesliga in Budapest die dritte Runde des europäischen Pokalsiegerwettbewerbs erreichten, hatte Rehhagel jene Kleingeister, die ihn nach zehn Jahren bei Werder Bremen als ausgebrannt und uninspiriert zur Disposition gestellt hatten, nicht etwa mit selbstgerechter Häme gegeißelt. Nein, er hatte seinen Triumph viel feinsinniger ausgekostet, hatte auf die üblichen Tiraden wider die tumben Gesellen der Fußballbeobachterzunft verzichtet, hatte dafür ein paar nachgerade offenherzige Interviews gegeben. Und er hatte einen Anflug von rührender Empfindsamkeit gezeigt, als er sich bei den Werder-Fans für „Treue in Freud und Leid“ bedankte.
Und während er mit unbewegter Miene Belangloses über das gewonnene Gastspiel in Hamburg sagte, wußte sich der Fußballphilosoph Rehhagel wieder bestätigt: „Es gibt nur eine Wahrheit — das ist der Sieg.“ Es gibt auch nur eine Strafe — das ist die Niederlage. Armes Hamburg, schwer gestraft. Armer Gerd-Volker Schock. Der Hamburger Trainer ist keine egozentrische Diva wie Rehhagel, ist einfach nur ein Fußballehrer, der versucht, in einem desolaten Verein aus einem 19köpfigen Kader eine Mannschaft zu formen. Einen Großteil der vergangenen Saison profitierte Schock von glücklichen Umständen.
Ein neues Präsidium suggerierte dem gesamten Verein so etwas wie den Aufbruch in ein neues, goldenes Zeitalter; ein Thomas Doll setzte das schon mal auf dem Rasen um. Thomas Doll ist verkauft, der Innovationsdrang von Präsident Jürgen Hunke ist ermattet, weil komplett gescheitert. Ein Strohfeuer vor allem die protzig angekündigte Gründung einer Aktiengesellschaft für die Profifußballabteilung, die schon so lange verschoben wird, daß niemand mehr an sie glaubt.
Der HSV in dieser Saison entpuppt sich als durch und durch gescheiterte Inszenierung. Die einzige Rettung, die Schock noch einfällt, ist das Engagement eines Stars, eines Stürmers, mit dessen Namen allein vielleicht wieder etwas Glanz zurückkehren könnte. Nebenbei müßte er auch ein paar Tore schießen, weil das von den vier nominellen Stürmern des HSV keiner vermag. Der einzige, der noch Kredit genießt, ist Jan Furtok und durfte am Sonntag nicht mitspielen, weil er in Poznan mit der polnischen Nationalmannschaft zu trainieren hatte. Der Rest des HSV war Stumpfsinn.
Tristesse in Hamburg, nur noch zu ertragen mit nostalgischer Besinnlichkeit, welche einem am Sonntag vor der Pressekonferenz beim Betrachten von WM-Aufzeichnungen aus den 50er und 60er Jahren erleichtert wurde. Da wirbelte auch Uwe Seeler munter mit herum. Doch, „Uns Uwe“ fehlt schon sehr. Katrin Weber-Klüver
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