: Lieber gut fighten als schlecht erholen
■ Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft schlitterte neu motiviert in die olympische Saison 91/92 Beim Deutschland-Cup erreichte die DEB-Auswahl einen dritten Platz hinter der UdSSR und Schweden
Frankfurt/Main — Eigentlich wollte Ron Fischer dieser Tage jenseits der Alpen weilen. Zusammen mit Frau und Kind waren die Koffer gepackt für einen Kurzurlaub unter Italiens Sonne. Doch ein Anruf kurz vor Abreise zerstörte die Pläne des Rosenheimer Verteidigers. Am anderen Ende der Leitung fragte der neue Bundestrainer der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft, Dr. Ludek Bukac, höflich an, ob er nicht doch Lust hätte, beim Deutschland-Cup zu spielen. Ron Fischer zögerte keinen Augenblick.
Vor einem Jahr wäre ein solcher Gedankenumschwung undenkbar gewesen. Die deutschen Farben auf dem Eis wollte kein noch so verdienter Recke mehr tragen. Zu schlecht war die Stimmung im Umfeld, zu verkrampft und jämmerlich die Aktionen auf dem Eis. Weil man sich nur blamieren konnte, zogen nicht wenige den Rückzug ins Private einem peinsamen Auftritt in der Öffentlichkeit vor. In der DEB-Zentrale in München läuteten daraufhin die Funktionäre zum Großalarm. 1993 veranstaltet man die Weltmeisterschaft im eigenen Land, ein Abstieg der eigenen Truppe aus der A-Gruppe bei der kommenden WM in Prag im April '92 käme einem sportlichen Super-Gau gleich. Höchste Zeit also für einen Neuanfang hinter der Bande. Mit dem Tschechoslowaken Dr. Ludek Bukac legte man die Hoffnungen in die Hände eines Mannes, der auf ein ordentliches Stück Eishockeyerfahrung zurückgreifen kann. 1985 führte Bukac als Coach die CSSR zu letztmaligen Weltmeisterehren. Der Eishockey- Doktor (Dissertation über die „Beanspruchungsmodelle im Eishockey“) war zunächst zur Basisarbeit gezwungen, um dem aufgezehrten deutschen Eishockey zu neuer Frische zu verhelfen. Zusammen mit seinem Assistenten, dem Riesserseer Kufendenkmal Franz Reindl, legte er Tausende von Kilometern quer durch die Republik zurück, um bei Gesprächen mit Spielern und Vereinen das Unternehmen Nationalmannschaft wieder interessant zu machen. Der Deutschland-Cup als Vier-Nationen-Turnier, das wegen Problemen bei der Eisbereitung dieses Jahr von Stuttgart nach Frankfurt/Main verlegt worden war, sollte der erste Prüfstein der Olympia- und WM-Saison werden. Mit drei hochkarätigen Gegnern (UdSSR, Schweden und CSFR) mußte sich die junge DEB-Auswahl gleich einer Prüfung von internationaler Härte unterziehen. Daß Bukac auf die Düsseldorfer Spieler verzichten mußte, die zeitgleich im Europapokal spielten, wirkte sich zunächst unglücklich aus, verkehrte sich aber später ins Positive. „Wir wollen ein offenes Umfeld, in dem sich jeder willkommen fühlen soll“, sagte Reindl und meinte damit vor allem die zuletzt vernachlässigten jungen Spieler.
So vernahm man es beim DEB mit Freude, daß zu einem Saisonzeitpunkt, an dem bevorzugt die ersten Blessuren auskuriert wurden, nahezu alle Einladungen positiv beantwortet wurden. Selbst die nicht ohne Bitterkeit vom Nationalteam geschiedenen Cracks Georg Holzmann, Ron Fischer und Harold Kreis meldeten sich mit Lust und Laune zurück. „Wenn die Leistung stimmt und ehrlich miteinander umgegangen wird, stelle ich mich gerne zur Verfügung“, konnte sich Fischer einen verbalen Bandencheck auf vergangene Tage nicht verkneifen.
Doch zunächst setzte das deutsche Team da an, wo es bei der schlimmen Finnland-WM aufhörte. Gegen die UdSSR-Mannschaft schlitterten die deutschen Spieler übernervös übers Eis und förderten alle Vorurteile wieder zu Tage: unterlegene Laufarbeit, hilflose Reaktionen auf sowjetischen Angriffswirbel, stets den Gegner, nie den Puck im Auge, verkrampftes und verhängnisvolles Überzahlspiel. Nach einer Viertelstunde stand es 0:3. Dr. Buakc machte sich eifrig Notizen, behielt aber kühlen Kopf. Zu Recht, denn seine Jungs steigerten sich und fanden über eine disziplinierte Spielweise nach und nach Vertrauen in die eigenen Aktionen. Nach 40 Minuten stand es 3:3, und das zweite Unentschieden im 75. Spiel gegen die Eissputniks wäre durchaus möglich gewesen. Erst fünf Minuten vor Schluß nutzten die Tichonow-Schützlinge eine Konzentrationsschwäche zum 4:3, ehe sie in der letzten Sekunde das verlassene deutsche Tor trafen.
Auch im zweiten Spiel kämpften die deutschen Spieler tapfer. Gegen die hoch eingeschätzten Schweden konnten sie sogar spielerisch überzeugen. Mit 3:2 verloren sie knapp und brachten das weltmeisterliche Drei-Kronen-Team des öfteren in Verlegenheit. Der zweifache Torschütze Holzmann erlebte auf dem Eis einen Frühling im November und war bei der anschließenden „open doors“-Aktion in der Umkleidekabine der gefragteste Mann bei der Presse: „Vor dem ersten Tor habe ich mir einen üblen Schnitzer erlaubt, für den ich früher sofort bestraft worden wäre. Es ist gut zu wissen, daß man heute ohne Schiß aufs Eis gehen kann.“ Im dritten Spiel folgte der erste Sieg, was der BRD den dritten Platz beim Cup einbrachte und vielleicht eine neue Ära einläuten wird. Mit 4:3 bezwangen die Bukac-Schützlinge die CSFR. Mit lange nicht erlebtem Eifer und Selbstvertrauen warfen sich die deutschen Spieler in die tschechischen Schlagschüsse. Ron Fischer wehrte einmal sogar ein Geschoß mit bloßer Stirn ab. Nach dem Spiel konnte er sich, den Eisbeutel gegen die Beule gepreßt, ein Lächeln nicht verkneifen. Manchmal macht kämpfen mehr Spaß als Urlaub. Andreas Lampert
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