piwik no script img

„Müllkippe Neue Länder“ immer höher

■ Greenpeace: Jährlich fünf Millionen Tonnen Abfall aus den alten in die fünf neuen Bundesländer

Berlin/Bonn/Essen (taz) — Seit der Vereinigung wird von West- nach Ostdeutschland mehr Müll exportiert als je zuvor. Dies kritisierte die Umweltschutzorganisation Greenpeace gestern in Berlin. Jährlich würden mehr als fünf Millionen Tonnen Haus- und Sonderabfälle aus dem Westen in den neuen Bundesländern abgekippt.

In ihrem gestern vorgestellten „Greenpeace Dossier Müllexport“ listen die Autoren auch geplante Müllverbrennungsanlagen, Deponien und deren Betreiber auf. Neben Beispielen von skandalöser Abfall- „Entsorgung“ werden die Projekte erwähnt, die Firmen und Landesregierungen auf Grund von Protesten regionaler Umweltgruppen zurückziehen mußten.

Matthias Voigt vom Berliner Büro rügte Umweltminister Töpfer und die westdeutschen Landesregierungen: Der Minister habe sein Versprechen, Europas größte Giftkippe „Schönberg“ in Mecklenburg-Vorpommern für Westmüll zu sperren, genauso gebrochen wie die Landesregierungen ihre Anfang letzten Jahres gegebene Zusage, Mülltransporte in den Osten um die Hälfte zu reduzieren. Den Reibach würden Müllschieberfirmen zusammen mit der Treuhandanstalt machen.

Das größte Vorhaben sei ein Giftmüllzentrum, das im sächsischen Rothenburg/Lodenau geplant ist. Nahe der polnischen Grenze soll ein „Sondermüllverwertungszentrum“ eine Kapazität von einer Million Tonnen im Jahr verarbeiten und verbrennen. Ein Planungsbüro „Hammer“ will dafür 40 Millionen Mark Fördermittel vom Bundesumweltministerium in Anspruch nehmen.

Umweltminister Töpfer fördert in diesem Jahr aus dem Topf des „Gemeinschaftswerk Ost“ Müllprojekte mit 63 Millionen, im kommenden Jahr mit 91 Millionen Mark. Franz Emde, Sprecher des Ministers, dementierte gegenüber der taz, daß mit den Geldern indirekt der Müllexport finanziert werde. Mit den Millionen würden bestehende Deponien untersucht und gesichert sowie Abfallkonzepte erarbeitet. Vereinzelt würde davon auch der Weiterbetrieb von Deponien bezahlt — „Sondermülldeponien werden aber nicht gefördert“. Emde bemängelte, daß zum Teil Müll durch die gesamte Republik gefahren werde. Unter benachbarten Ländern sei es hingegen üblich, daß Müll getauscht werde, da es wenig Sinn mache, in jedem Bundesland für jede Abfallart spezielle Verbrennungsanlagen oder Deponien einzurichten.

Nach dem Greenpeace-Dossier sind an den geplanten Müllverbrennungsanlagen vor allem die „Philipp Holzmann AG“, die „Roll AG Zürich“, die „RWE-Entsorgungs-AG“ und die „R + T Entsorgung Viersen GmbH“ (51 Prozent „RWE-Entsorgung“) beteiligt. André Bauguitte, Pressesprecher der RWE-Entsorgung in Essen, sagte der taz, daß von ursprünglich fünf Projekten noch zwei aktuell seien: In der Sondermüllverbrennungsanlage Bitterfeld sollen vorwiegend Altlasten aus der Produktion der „Chemie AG Bitterfeld“ vernichtet, und im sächsichen Hirschfelde soll Hausmüll verbrannt werden. Den Vorwurf der Umweltschutzorganisation teilte Bauguitte nicht. Die neuen Bundesländer würden beim Müllimport nicht mitmachen.

RWE, Holzmann und Roll AG stark interessiert

Für Dossier-Autor Voigt ist der Ausstieg des RWE-Konzerns aus mehreren Müllverbrennungs-Projekten regionalen Umweltgruppen zu verdanken. Dennoch rät er zur Vorsicht. Auch wenn der Müll-Gigant zum Beispiel im Brandenburgischen Döberitz keinen Abfall mehr verbrennen wolle, sei der geplante Müllofen nicht völlig aufgegeben.

Greenpeace-Sprecher Andreas Bernstorff, Mitautor, wies darauf hin, daß auch die illegalen Mülltransporte in die neuen Länder zunehmen würden. Häufig werde Sondermüll als Brennstoff oder Dünger getarnt. Unter anderem sei Giftmüll aus Nordrhein-Westfalen, der ursprünglich nach Paraguay exportiert werden sollte, als Heizmaterial für eine Schule in Zehna in Mecklenburg- Vorpommern angeliefert worden.

10 Mark pro Tonne bekamen Bauern der LPG Kamenz dafür, daß sie Klärschlamm und Müllkompost als „Dünger“ auf ihre Felder kippen ließen. Mehrere hundert Tonnen Abfälle aus der Papierproduktion der Flensburger Feldmühle AG wurden zu einem Gut Walkendorf gebracht. Ein Teil der mit Schwermetallen und krebserregenden PCBs verseuchten Pulpe wurde ebenfalls als „Dünger“ auf einem Feld untergepflügt. 15.000 Tonnen schwermetallverseuchter Erde der Stuttgarter Firma Kloeckner wurden in den Kalischacht Teutschenthal „entsorgt“. In Sachsen-Anhalt lagen die Gebühren von 150 Mark pro Tonne weit unter den westdeutschen Preisen — die hätten nämlich bis zu 1.500 Mark betragen.

Bernstorff forderte gestern die westdeutschen Länderumweltminister auf, den Ostexport ihres Mülls zu beenden. Ihren Kollegen in den neuen Bundesländern riet Bernstorff, in die Länderabfallgesetze „Schutzklauseln“ gegen Westmüllimporte festzuschreiben. Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen