: Polnische Sinnverschiebung
■ Vom »Dummkopf« zum »Schneemann« oder: Über die Mitteilungskraft der Bildersprache/ Plakate des polnischen Künstlers Leczek Drzewinski im Kulturhaus Peter Edel
Das polnische Plakat ist seit den fünfziger Jahren weltweit bekannt und geschätzt. Die »polnische Schule des Plakats«, von Lenica, Tomaszewski, Mlodozeniec etabliert, hat nie aufgehört, produktiv zu sein.
Die zweite Generation, der auch der Lehrer Drzewinskis, Waldemar Swierzy, angehört, war nicht weniger erfolgreich. Immer neue Schüler werden zu Meistern. Seit gut zehn Jahren gehört Leczek Drzewinski zu den besten und aktivsten Plakatkünstlern des Landes. Daß er ein polnischer Künstler ist, kann man am Beispiel seines neuesten Plakats, das im Auftrag des polnischen Kulturrates angefertigt wurde und in der U-Bahn-Station Mehringdamm zu betrachten ist, erkennen. Das Plakat zeigt viele Schneemänner, einige davon mit der schwarz-rot-goldenen Fahne.
Eine taz-Journalistin hat geschrieben, daß sie nicht viel mit dem Plakat anfangen kann und daß für sie die sympathischen Schneemänner höchstens durch die Kälte, die für Ausländer derzeit in Deutschland herrsche, in Verbindung mit dem Rassismus zu bringen seien. Bei diesem Streich von Drzewinski haben wir es mit einer klassischen Sinnverschiebung zu tun. Auf polnisch bedeutet das Wort »Schneemann« (Balwan) soviel wie »ein Dummkopf«, und diese Mitteilung des Plakats ist — kulturell gebunden — für alle Landsleute Drzewinskis sofort verständlich. Ein Beweis, daß man mit dem Plakat auch an spezifische kulturelle, sprachbezogene, nationale Erfahrungen appellieren kann.
Drzewinski ist mit seinen Arbeiten in Berlin seit mehr als sechs Jahren präsent. Während des Golfkriegs hat er eine Aktion der größten Wandzeitung der Welt, des Ku'damm-Avnets, mit seinen, digitalisierten, Antikriegsplakaten ausgestattet. In regelmäßigen Zeitabständen sind diese äußerst plakativen Aussagen die Straße hinab ausgestrahlt worden — und das mehrere Wochen lang.
Ich habe festgestellt, welche Prägnanz diese Aktion gehabt hat: mehrere Angesprochene konnten sich zwar erst nach einen gedächtnisunterstützenden Hinweis daran erinnern, wo sie die Plakate gesehen haben, doch die Aussage und den Inhalt haben sie sehr gut wiedergeben können — und auch das berühmte Déjà-vu- Phänomen war fast immer feststellbar.
Drzewinski entwarf auch Plakate zu zwei theatralischen Produktionen, wie auch Malereiausstellungen des inzwischen sehr bekannten und hochgeschätzten Berliner Künstlers Andrzej Woron. Die beiden Plakate haben offensichtlich den »Formisten« Woron überzeugt, obwohl man annehmen könnte, daß er selbst für sein Theater Kostüme, Bühnenbild und ein Plakat entwerfen kann. Hier liegt offensichtlich der Hund begraben: wer »weniger Inhalt, mehr Form« in seiner Kunst fordert, wie Woron, kann oder will nicht das Gegenteil: »Form follows function« und »Weniger ist mehr« von der eigenen Arbeit fordern. Das ist das Milieu des Plakats, das Milieu Leczek Drzewinskis.
Wie gut er sein Handwerk versteht, wird am Beispiel seines wohl bekanntesten Plakates deutlich: die bumerangförmig gekrümmte Bombe, auf einem bananenfarbenen Hintergrund, trägt nicht nur einen sich fest einprägenden antimilitaristischen Inhalt — das tun auch viele andere Plakate von Drzewinski —, es spielt offensichtlich auch mit den Assoziationen eines jeden Betrachters, der Andy Warhols Konsum-Ikone der Banane einmal gesehen hat. So gewinnt auch die verblüffend einfache Aussage des Plakats eine tiefere Konnotation: das übersteigerte Konsumverhalten wird hier als wirkliche Ursache des heutigen Militarismus angeprangert.
Fast einhundert Plakate innerhalb von etwa zehn Jahren, die Emigration, Teilnahme an mehreren Ausstellungen und Kunstwettbewerben mit großem Erfolg: Drzewinskis Plakate und Bilder hängen inzwischen in mehreren Museen und privaten Sammlungen.
Er hat in Japan, den USA und fast überall in Europa ausgestellt, Preise und Ehrungen und Einladungen zu Gastprofessuren erhalten. Was aber am meisten zählt: Drzewinski ist mit seinen Plakaten ein sehr empfindlicher Seismograph der politischen und gesellschaftlichen Lage in Deutschland, wie auch in Europa. Das macht aus ihm einen Künstler, der eine wichtige öffentliche Rolle spielt. Als Pole auch die, die zur Verständigung zwischen unseren beiden Völkern beiträgt. Piotr Olszwoska
Kulturhaus Peter Edel, Berliner Allee 125, Weißensee, noch bis 24. November
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