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Stille im 'Neuen Deutschland‘

■ Seit Montag arbeiten die Redakteure und Angestellten der PDS-nahen Tageszeitung auf Kurzarbeit

Friedrichshain. Zu einer Uhrzeit, wo das Herz einer Tageszeitung normalerweise heftig zu pochen beginnt, herrschte gestern mittag in der Nachrichtenredaktion des 'Neuen Deutschland‘ gespenstische Stille. Abgesehen von einer Handvoll Redakteure, die auf ihren Terminals schweigend Meldungen redigierten, waren die meisten Arbeitsplätze in dem Großraumbüro nicht besetzt. Der Grund: Kurzarbeit.

Seit Beginn der Woche arbeiten die 62 Redakteure und 83 Verlagsangestellten nur noch 24 Stunden in der Woche. Die tägliche Arbeitszeit von fast jedem 'ND‘-Mitarbeiter beläuft sich auf 4,8 Stunden. Der Hintergrund ist, daß die Zeitung mit erheblichen Finanzproblemen kämpft, seit die unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens von Parteien und Massenorganisationen Ende Oktober beschlossen hat, daß das 'ND‘ von der Treuhand keine Mittel zur Sanierung erhält.

Die PDS, die zusammen mit der Deutschen Verlag und Druckerei Kontorei (DVDK) — der früheren ZENTRAG, einem Zusammenschluß SED-eigener Betriebe — hundertprozentige Eigentümerin des 'ND‘ ist, versucht jetzt Mehrheitsanteile der Zeitung zu veräußern. Nach Angaben von Redaktionssekretär Reinhard Götze wurde die Belegschaft am Montag von einem Gesellschafter der DVDK darüber unterrichtet, daß bereits konkrete Verkaufsgespräche geführt würden. Es sei aber kein Name genannt worden, um die Verhandlungen nicht zu gefährden. Dabei handelt es sich offensichtlich nicht um die sogenannte Investitionsgruppe Malta, die in den Medien als Interessentin gehandelt worden war. »Die Malta-Schiene ist beendet«, erklärte gestern 'ND‘- Chefredakteur Wolfgang Spickermann, der den Posten seit dem 14. November 1989 bekleidet.

In der Hoffnung, daß bis Ende des Jahres Gesellschaftsanteile veräußert werden können, soll der drohende Konkurs des 'ND‘ jetzt durch Kurzarbeit — die Mitarbeiter bekommen nur noch 60 Prozent ihres bisherigen Lohns — und eine Leserspendenaktion abgewendet werden. Die Kampagne hat innerhalb von 14 Tagen bereits 250.000 Mark zusammengebracht. »Wenn jeder unserer 88.000 Abonnenten 11,11 Mark spendet, bekommen wir bis zum Jahresende eine Million zusammen«, hofft der Chefredakteur. Als flankierende Maßnahme solle die Ausgabe des 'ND‘ von jetzt 80 Pfennig auf einen »Preis in der Größenordnung von einer Mark« erhöht werden. Das 'ND‘ hat eine Auflage von 110.000. Der Trend eines monatlichen Leserrückgangs von über drei Prozent sei im Oktober erstmals rückläufig gewesen, freut sich Spickerman.

Gestern war der zweite Tag, an dem die Ausgabe in Kurzarbeit produziert wurde. »Das geht nur, weil alle effektiver arbeiten«, erklärt Redaktionssekretär Götze. Die langen Konferenzen seien auf eine Viertelstunde am Vormittag zusammengekürzt worden. In der Redaktion herrsche außerdem neuerdings ein Schichtsystem. Die zweite Ausgabe des 'ND‘ geht nachts um kurz vor 12 in den Druck. »Das Nadelöhr«, das die Ausgabe zum Abstürzen bringen könnte, ist Spickermann zufolge das Bildschirm-Layout. Wenn es dort aufgrund der Kurzarbeit einmal zu Problemen komme, könnten statt der zwölf Seiten eben nur acht herausgebracht werden. Auch die Eigenrecherchen der Redakteure müßten jetzt reduziert werden, und die freien Autoren seien aufgefordert, ihre Textdisketten abzuliefern, um Satzarbeiten zu vermeiden. Auch wenn es möglich sei, das 'ND‘ in Kurzarbeit zu produzieren, könne dies nur eine Übergangslösung sein, weil es sich um unzumutbare Arbeitsbedingungen handele. Chefredakteur Spickermann selbst fällt zwar nicht unter die Kurzarbeitsregelung, will von seinem Gehalt aber 40 Prozent für das 'ND‘ spenden. plu

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