INTERVIEW: Größte Randale aller Zeiten
■ Interview mit Thomas Schneider, dem Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte
taz: Wie ist denn im Moment die Situation bei den gewalttätigen Fußballfans einzuschätzen?
Thomas Schneider: Das kann man in einem Satz zusammenfassen: Wir haben die größte Randale seit Jahren, eigentlich sogar aller Zeiten.
Was belegt diese Behauptung?
Die Eskalation, die wir Anfang des Jahres vorausgesagt haben, ist genau so eingetreten. Die Faszination der Hooligan-Szene wächst. Die Gewalt bei internationalen Spielen nimmt weiter zu. Außerdem häufen sich Angriffe auf die Polizei, was früher fast undenkbar war. Besonders die Situation in den neuen Bundesländern ist unkontrollierbar geworden. Gewalt in allen Lebensbereichen. Und dort zeigt sich auch die Dynamik der Szene besonders, wo Hooligans auch an Übergriffen auf Asylanten und Aussiedler beteiligt sind. Das haben wir alles vorausgesagt.
Das klingt ein wenig wie BRD „hui“, Ex-DDR „pfui“.
Nein, so ist es nicht gemeint. Nur ist die Situation in der ehemaligen DDR besonders dramatisch. Wenn dort nicht bald begonnen wird, auch eine Jugend- und Sozialarbeit aufzubauen, gerät da alles aus dem Ruder. Es fehlten sinnvolle Freizeitperspektiven.
Aber muß man die Konzepte der Sozialarbeit mit Fußballfans angesichts der Entwicklungen auch im Westen nicht als gescheitert ansehen?
Eben nicht. Wo gibt es denn Fanprojekte? Wie viele Leute arbeiten mit den Fans? Die Zahl der eingesetzten Polizisten hat sich in den letzten fünfzehn Jahren verdoppelt, und in den Fanprojekten arbeiten gerade noch 30 Mann. Nürnberg und Bremen etwa stehen gerade vor dem Aus. Aber was fünf Hundertschaften Polizei nicht schaffen, sollen fünf Streetworker bewältigen. Aber es ist immer leichter, das Geld für einen Wasserwerfer bereitzustellen, als einen Sozialarbeiter einzustellen.
Gibt es denn überhaupt Erfolge der Fanprojekte?
Natürlich! Nehmen wir doch mal ein Beispiel: Wir arbeiten ja immer mit den sogenannten Schmuddelkindern, denen mit der rechtsradikalen Gesinnung, die für alle anderen tabu sind. Für die sind wir hochbegehrte Ansprechpartner, weil wir denen einfach was zu bieten haben.
Was denn?
Wir nehmen unsere Leute ernst und akzeptieren sie, wie sie sind. Die wissen, daß wir eine andere Meinung haben, sehen aber auch, daß wir älter sind und über mehr Lebenserfahrung verfügen. Der Dialog ist unsere wichtigste Waffe. Dazu helfen wir auch ganz praktisch bei Problemen mit Ämtern, der Polizei und Gerichten. Und das ist viel mehr als etwa Rechtsradikale in der Regel zu bieten haben. Außerdem machen wir Aktionen, die beim Nachdenken helfen. Unsere Hools haben neulich gegen eine Gefängnismannschaft Fußball gespielt. Knast ist doch für die so ein Mythos, weil sie da immer mit einem Bein drinstehen. Das hat eine ganz eigene Faszination und steigert den Reiz der Gefahr. Auf das Spiel waren die ganz wild. Hinterher wird sich mancher wahrscheinlich gedacht haben, daß es dort so schön abenteuerlich auch nicht ist. Interview: Christoph Biermann
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