Luisa Neubauer im Interview : Die größte Lüge der Klimapolitik?
„Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer über Radikalität, Elternerziehung, APO, Vorbilder und nervende Politiker.
taz FUTURZWEI: Was ist für Sie als »Fridays for Future«-Aktivistin die größte Lüge in Sachen Klimapolitik, Frau Neubauer?
Luisa Neubauer: »Wir machen doch schon« ist, glaube ich, die größte Lüge.
Die Wirklichkeit und die Vorstellung davon stimmen nicht überein.
Richtig. »Wir machen doch schon« weckt die Assoziation, man würde sich ja schon um das Klima kümmern. »Wir machen ja schon – weiter wie bisher«, wäre der korrekte Satz. Das ist der Stillstand, den wir erleben. Und was da teilweise an Sprüchen im politischen Rahmen kursiert, deckt schon ein ganz beeindruckendes Spektrum ab, von Vorwänden, Ausflüchten, Abkehrungen bis hin zu tatsächlich dreisten Lügen.
Die Wahrheit ist, dass wir bis jetzt keine demokratische Mehrheit für ernsthafte Klimapolitik haben.
Das Spannende an der Klimakrise ist ja, dass es da eine geophysikalische Wahrheit gibt, an der nicht zu rütteln ist, plus-minus wissenschaftliche Abweichung. Du gehst nicht in den Tag mit 413 ppm CO2 in der Atmosphäre und denkst abends: Ah nee, manche mit denen ich spreche, finden das gar nicht so schlimm, deswegen sind wir jetzt bei 380. Egal, wer was sagt, es sind 413 und das wird mehr. Wissenschaftliche Tatsachen haben eine andere Stellung als kulturelle Wahrheiten. Aber wir verhandeln nicht, welche Maßnahmen jetzt angebracht und hilfreich sind, sondern streiten, wie schlimm es eigentlich ist. Wir verhandeln eine Argumentationsgrundlage, die nicht zur Verhandlung steht.
Können Sie das konkret machen?
Statt mit ganz viel Expertise von Ökonomen, Unternehmerinnen, anderen Involvierten die effektivste CO2-Steuer auszuklügeln, dreht sich die Debatte darum, wie viel Zeit wir noch haben, ob es nicht besser wäre, wenn wir das in drei Jahren machen, ob überhaupt wirklich alles so schlimm ist, ob man nicht besser guckt, was kommt, und überhaupt China.
FFF sagen immer wieder, dass Klimapolitik sich nach der Wissenschaft richten muss und es hier nicht reicht, einen gesellschaftlichen Kompromiss auszuhandeln. Aber ein Unternehmer, der Verantwortung für seine Arbeitsplätze spürt, hat eine andere Wahrheit, und jemand, der seinen Arbeitsplatz zu verlieren droht, auch.
Das ist eine etwas verquere Betrachtungsweise oder? Wir rasen in diese Klimakrise rein, um uns herum wird sich alles ändern. In dem wir jetzt stillstehen, reißt es uns unweigerlich zurück, weil wir nicht mithalten mit den geophysikalischen Entwicklungen um uns herum. Da ist es ein leeres Argument zu behaupten, man müsste Menschen vor Klimaschutzmaßnahmen schützen. Nein, man muss Menschen durch Klimaschutz schützen. Da sind wir wieder bei der Frage der Ehrlichkeit. Ich finde, Ehrlichkeit ist ein besserer Begriff als Wahrheit. Ehrlichkeit gegenüber der Drastik der Lage, gegenüber dem Versagen der Klimapolitik in den letzten dreißig Jahren, die uns trotz Wissens um die Datenlage an einen Punkt gebracht hat, wo Maßnahmen immer disruptiver werden müssen, um überhaupt noch Wirkung haben zu können.
Für den 20. September haben Sie zum weltweiten Streik ausgerufen, für den sie auch Wissenschaftler, Eltern und „Workers for Future“ gewinnen wollen.
Ja, der 20. September ist der große Tag in Deutschland, da fordern wir, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Straße gehen. Wir brauchen jetzt auch die Menschen, die in der fossilen Wirtschaft arbeiten und sagen: Leute, hackt es?
Was unterscheidet FFF von den vorherigen Umwelt-, Öko- und Klimaschutzbewegungen?
Kommt jetzt die Frage nach der neuen APO?
Nein. Jetzt kommt die Frage nach dem methodischen Ansatz, der dazu geführt hat, dass FFF im Gegensatz zu Pulse of Europe oder Occupy zumindest bisher großen Erfolg hat.
Wir machen Fridays for Future, ohne ein Vorbild zu haben. Es gab noch nie so eine Jugendbewegung in so einem digitalen Zeitalter, die sich mit wissenschaftlichen Grundlagen beschäftigt hat und mit schon beschlossenen Zielen und gleichzeitig auch mit diesen Organisationsformen, also global, schnell, präsent, mit einem großartigen Anspruch an Gleichberechtigung. Es ist alles anders und das heißt, dass alles, was wir machen, learning by doing ist. Und jeden Tag lernen wir, und ich auch, tausend neue Sachen. Dass wir mal gegen die Wand laufen und nochmal neu anfangen, gehört auch dazu.
Was nervt Sie an FFF?
Oh Gott. Dünnes Eis für mich.
Sagen Sie einfach die Wahrheit.
Ach, dass Leute einfach loslegen, das kommt nicht von selbst und ist immer zäh. Aber am Ende ist man geflasht und denkt: Krass, was für ein geiles Potenzial überall.
Spüre ich hier eine Prise Habeck-Pathos?
Nee, genau so erlebe ich das halt. Man unterschätzt einfach chronisch die Möglichkeiten und den Einfallsreichtum von Leuten, die Bock haben.
Fridays ist eine Mainstream-Bewegung, haben Sie gesagt.
Habe ich gesagt?
Der alte Mainstream löst sich ja auf, wie der Niedergang der Ex-Volksparteien und der Aufstieg der AfD und der Grünen zeigt. Die Sozialökologie, die bisher am Rand war, wird Teil der neuen Mitte.
Ich glaube auch, dass Klimaschutz, die sozialökologische Frage, meinetwegen, mehr und mehr ins Zentrum reinrutscht. Sicherlich sehen die Grünen sich in der Nähe dieser Frage verortet. FFF sind überparteilich und im Gespräch mit Jungen Unionern, die sogar teilweise bei uns mitorganisieren, genauso wie mit JuLis und Solids und auch Leuten, die sich völlig unparteiisch einbringen. Wir erreichen wahnsinnig viele Menschen, die sich im Links-Rechts-Spektrum überhaupt nicht positionieren. Viele Rechts-links-Fragen lösen sich gerade ein bisschen auf oder verschieben sich.
Das heißt konkret?
FFF sind eine wissenschaftsgeleitete Bewegung und damit haben wir eine ganz andere Argumentationsgrundlage. Wir sagen nicht, wir finden das Finanzsystem ungerecht, sondern wir sagen, das Finanzsystem zerstört unsere Zukunft und den Planeten wegen A, B und C. Selbstverständlich bringt ein ernsthafter Angang der Klimakrise einen riesengroßen Rucksack an anderen großen globalen und auch ideologischen Fragen mit sich. Aber in erster Instanz sind wir rein dem Ziel verpflichtet. Das muss natürlich zusammen gedacht werden mit Menschenrechten und Nachhaltigkeitsansprüchen.
Wie sind Sie kulturell und organisatorisch verfasst?
Wir sind eine relativ emanzipierte junge Generation. Wir sind global vernetzt. Wir haben relativ hohe Ansprüche an Partizipation und Mitbestimmung. Das macht uns in meinen Augen recht stark, dass wir da viel Zeit und Energie reininvestieren herauszufinden, wie wir Entscheidungen so treffen können, dass Menschen den Prozess hin zu dieser Entscheidung mitgestalten. Praktisch sind wir auch eine vom Brexit geschädigte Generation, die weiß, wie es nicht laufen soll.
Welche Rolle spielen für FFF klassische Medien wie Tagesschau, Tages- und Wochenzeitungen? Keine mehr?
Nein. Die sind auch wichtig. Ich wünschte, dass die klassischen Medien noch einen größeren Stellenwert eingeräumt bekämen. Was Informationsverbreitung, Aufklärung, sachlich geführte Debatten betrifft, sehe ich wenig Formate, die diese Leerstellen einnehmen könnten. Wir machen natürlich auch unsere Medien, wir haben unseren Podcast und YouTube und Facebook und Twitter und Instagram für unsere Mobilisierung. Aber gerade in CDU- oder AfD-Hochburgen erreichen Sie die Leute nicht mit Twitter, sondern mit Tageszeitungen.
Was unterscheidet Sie noch von 68ern, Anti-Atom- und Emanzipationsbewegungen des letzten Jahrhunderts?
Das ist ja nichts Neues, dass sich junge Menschen über die Regeln beklagen und ihren Eltern sagen: Wir wollen es anders machen. Aber wir sagen nicht, wie es anders und besser geht. Wir sagen: Freunde, könntet ihr mal bitte schleunigst durchsetzen, was ihr schon 1992 in Rio und 2002, 2006 und 2015 alles beschlossen habt?
Sie sagen uns Älteren in aller Freundschaft, dass wir endlich das tun sollen, was wir sagen, also unser Lügen oder Selbstbetrügen beenden?
Naja, es ist, als würden wir unsere Eltern und unseren Staat ein bisschen … ich will jetzt nicht sagen: erziehen. Aber es ist schon so, als würden wir in so eine ganz merkwürdige Lehrer- und Lehrerinnenrolle schlüpfen.
Das war ein bedrückender Moment bei einem Grünen-Parteitag, als Sie denen die Meinung geigten und die sprangen auf und jubelten. Über ihr eigenes Totalversagen? Oder weil sie in alter Ignoranzkultur denken, die anderen seien schuld?
Oder weil sie sich verzettelt haben.
Die Kinder müssen den Erwachsenen sagen, dass sie sich verzettelt haben und es so nicht weitergehen kann. Die Mündigkeitszuständigkeit hat sich umgedreht?
Die Front verläuft zwischen denen, die vom Status quo am meisten profitieren und denen, die am meisten dadurch verlieren. Und wir Junge fragen uns: Warum sind die Sachen so, wie sie sind, wenn sie doch einfach anders sein könnten? Und das müssen wir volle Lautstärke machen, weil wir absolut nichts zu verlieren haben, außer unserer Zukunft.
Wieso nichts zu verlieren, Sie sind doch auch relativ privilegierte Mittelschichtsleute mit Weltbürgerkultur?
Teilweise mag das so sein. Aber wir sind absolut nicht diejenigen, die finanzielle Vorteile davon haben, dass Unternehmen jetzt auf Kosten des Klimas Rendite generieren. Es ist im Gegenteil so, dass die Klimakrise uns alles nehmen kann. Aber weil Sie Weltbürger sagten: Wir wachsen auf und uns wird gesagt, die Welt liegt dir zu Füßen, alle Tore stehen dir offen. Natürlich manifestiert sich das auch in einem Globalitätsanspruch, einem Bewusstsein darüber, was wir hier eigentlich gerade für einen Irrsinn veranstalten auf Kosten anderer. Das heißt, wir stellen auch fest, dass wir auf die Gegenwart von anderen eindreschen.
Gleichzeitig aber wollen Sie, also die zwanzigjährigen Weltbürger, doch schon auch weiter fliegen, weil das essenziell ist für moderne Berufe, Netzwerke, Familien, Lebensstile und auch Engagement. Oder geht es darum, dass wir alle nicht mehr fliegen und uns ins Nationale oder Lokale zurückziehen?
Wie lange reden wir jetzt, bis wir bei der Flugfrage sind?
22 Minuten, neun Sekunden.
Also, das muss ich weiter ausführen.
Es geht mir nicht um die Privatisierung des Politischen, es geht um die Fortsetzung der liberal-globalen Moderne.
Jaja, das sehe ich schon. Also: Ich glaube nicht, dass wir langfristig in einer Welt leben werden, wo niemand mehr fliegt. Bei ganz vielen Entwicklungen müssen wir fragen: War das eine gute Entwicklung oder war das ein Schuss in den Ofen? Definitiv. Das ist beim internationalen Flugverkehr eine andere Geschichte. Dass es aber nicht so weitergehen kann wie jetzt, ist die Ausgangslage, mit der man sich zurechtfinden muss.
Wir fliegen weiter, aber politisch anders strukturiert. Wie?
Man muss ein Preismodell finden, dass kostendeckend ist und wo die ökologischen Kosten internalisiert werden. Aber wenn wir uns mit dem Fliegen beschäftigen wollen, super, dann reden wir mal im ersten Schritt über Inlandsflüge in Deutschland, das sind achtzig Prozent Businessflüge. Muss das sein? Glaube ich nicht. Das hat nichts mit einer liberalen Moderne zu tun, sondern mit einer Scheinbequemlichkeit. Der entscheidende Punkt ist: Wenn wir unsere Freiheit in der Zukunft mit der Freiheit von heute zusammenbringen wollen, dann stellen wir fest, dass nicht alles so weitergeht. Aber ich sträube mich dagegen, an dieser einen Frage zum Flugverkehr aufzuhängen, wie eine liberale Moderne künftig funktionieren kann.
Aber kein Rückzug aus dem Weltbürgertum, bei dem die Flughäfen geschlossen werden und jeder auf seiner Scholle Gemüse anpflanzt und einmal im Monat Zug fährt?
Sicher nicht. Die mächtigsten Institutionen der Welt haben kein Interesse daran, irgendwas zu verändern, weil sie die großen Profiteure sind – auch der voranschreitenden Klimakrise, zumindest kurzfristig. Wenn ich sage, ich bleibe bei mir, mache für mich meine zwei Bahnfahrten im Monat, meinen vegetarischen Konsum und mein Flohmarkt-Shoppen, dann räume ich schon mal das Feld und lasse zu, dass das alles voranschreitet.
Was dann?
Was wir brauchen, sind die Ökomodernen, die mit vollem Elan auf das Feld ziehen und denen, die Verlustängste oder einfach Vorbehalte haben, zeigen, wie gut das Leben funktionieren kann in einem ökologisch definierten zukunftsfähigen Wohlstand. Dass es kein Widerspruch sein muss, dass diese Krise Angst machen muss, aber auch Mut machen kann. Und in der Sprache von Robert Habeck Sehnsucht und Hunger nach Veränderung mit sich bringen kann.
Sie stehen also doch auf Habeck-Pathos?
Ah, es gibt so ein Habecksches Bürgervokabular, wo der ja schon ganz gute Worte findet. Jedenfalls ist Rückzug nicht das Ding und kann nicht die Antwort sein – in der globalisierten Welt, wo mehr denn je Fronten aufgemacht werden zwischen nationalistischen Tendenzen und den transnationalen Globalisierten. – Ich meine, wie ist der Neoliberalismus denn um die Welt gejettet? Nicht, indem er gesagt hat: Ich höre mich mal gemütlich in meiner Kommune um. Natürlich ist es wichtig, dass es auch die Menschen gibt, die bei sich zu Hause in Leuchtturmprojekten zeigen, wie es gehen kann. Aber der Anspruch muss sein, dass wir dann so viel, so oft, so laut, so klar und verständlich wie möglich darüber reden und das in die Welt raustragen.
In bestimmten linksdrehenden Milieus sagen sie, Greta Thunberg ist super, weil die ist radikal – und Luisa Neubauer ist nicht radikal genug.
Aha, ist das so?
Das sagen die.
Cool. Okay. Ja. Und, was soll ich jetzt sagen?
Wie Sie das sehen?
Ob ich nicht radikal bin? Ach, ist ja immer Betrachtungssache. Wir sind eigentlich radikal unradikal. Ich auch.
Radikal unradikal?
Wir sagen, Leute, ihr habt vor dreieinhalb Jahren was unterschrieben, also macht jetzt mal. Und weil ihr anscheinend damit sehr lange braucht, stellen wir euch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Seite und legen euch auch noch hin, was denn die ersten Schritte sein könnten. Das finde ich jetzt nicht wirklich radikal.
Ich persönlich finde, das Einhalten der Klimaziele ist sehr radikal angesichts der Realität. Aber noch Ältere haben Projektionen in den Köpfen, Rudi Dutschke, Che Guevara ... und Greta Thunberg wirkt halt auch etwas außerirdisch.
Also, wenn die Gleichung ist, dass Greta radikal ist und ich bin nicht radikal, dann kann ich damit gut leben. Vielleicht ergänzen wir uns. Wir brauchen diese großen »Radikalen«, die nochmal ein ganz anderes Feld aufmachen. Aber da es auch darum geht, den Leuten zu erklären, dass Klimaschutz nicht heißt, allen ihr Auto wegzunehmen, ist es entscheidend, dass es Leute gibt, die Offenheit zeigen, meinetwegen auch Anschlussfähigkeit. Die zeigen, dass Klimaschutz keine Einstellung oder Haltung ist, sondern Grundlage für alles, was in der Zukunft kommt.
Das Faszinierende am Greta-Bild ist das psychische und körperliche Leiden an der Erderhitzung und gleichzeitig die Lebensstil-Konsequenzen, die sie daraus gezogen hat. Das gibt ihr eine große, ikonische Kraft. Aber dieser Lebensstil ist nicht massentauglich, schon gar nicht weltweit.
Es braucht aber auf jeden Fall mehr Menschen, die vorleben, wie ein gutes ökologisches Leben aussehen kann. Auch wenn ich mir bewusst bin, dass ich ja keinesfalls der Durchschnitt bin und in einer privilegierten Ausgangslage. Ich kann ja monatelang Vollzeitklimagewissen sein, weil ich studiere. Weil ich Kapazitäten habe, mich in der Sache zu bilden und weil ich die Freiheit habe, kritisch zu sein.
Sie persönlich diskutieren auch in Christian Lindners Videopodcast, bei RWE und im Springer-Club mit dem Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner. Was bringt das?
Ich glaube, mit dem Klima ist man immer eine Art ungebetener Gast und man muss deshalb lange einfach rumhängen, bis es eine Selbstverständlichkeit ist, dass man Teil davon ist. Das heißt, dass man auch im Journalistenclub von Springer ab und zu vorbeiguckt und checkt, wie die Lage ist. Plus, ich glaube, eine entscheidende Zielgruppe sind nicht die Menschen, die in der Chefetage rumsitzen und aus dem Eckbüro gucken, sondern die Menschen, die deren Entscheidungen vorbereiten, die nächste Ebene an Entscheidern oder Akteuren.
Die muss man treffen?
Ja, und die trifft man an diesen Orten. Oder junge Menschen, die schon ganz viel erreicht haben im Leben, etwa mit einem Start-up. Menschen, die an entscheidenden Stellen neu anfangen oder schon massivst mitgestalten: Wenn die nicht die Klimakrise auf dem Schirm haben, kommen wir nicht weiter.
In einem Spiegel-Streitgespräch sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier sinngemäß zu Ihnen, sie sollten erst einmal schön zu Ende studieren und dann könnten Sie die Welt verbessern. Sie sagten: Ich will nicht schön zu Ende studieren, ich will, dass Sie jetzt handeln, denn Sie sind der Letzte, der noch handeln kann. Er versteht es nicht?
Dahinter steht auch die Frage, wie man es schafft, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, die zwanzig Jahre jünger sind und im schlimmsten Fall noch Frauen. Ich sehe da schon eine Reihe von Konflikten, die sich zusätzlich zum Klimakonflikt so auftürmen, dass am Ende eine ratlose Jugend vor einem dickköpfigen älteren Entscheidungsträger sitzt ...
... dickköpfig ist gut ...
… und sich fragt, was da schiefgelaufen ist. Und wieso dieser Mensch unser Land regiert.
Weil wir ihn gewählt haben. Oder seine Partei.
Wir nicht.
Jaja. Das ist der Witz an einer Demokratie. Das man eine Mehrheit braucht. Deswegen finde ich es sehr gut, wenn Sie eine Mehrheit der Jungen für ernsthafte Klimapolitik gewinnen.
Ja, sicherlich. Es ist ja eben nicht damit getan, zu sagen, wir finden eine Partei, die Klimaschutz feiert, und dann legen wir los. Nein. Wir gehen unfassbare Veränderungen an, eine riesengroße Transformation. Da reicht nicht ein politischer Akteur oder eine Partei.
Warum, Frau Neubauer, konzentriert sich zumindest die öffentliche Aufmerksamkeit auf junge Frauen als Verkünderinnen dieser lang ignorierten Wahrheit, nachdem Ökograubärte und die mit sich selbstbeschäftigten Grünen vierzig Jahre nicht durchdrangen?
Kommunikationspsychologen können das sicherlich fundierter erklären, aber es ist ein gigantischer Unterschied, wer eine Botschaft verkündet. Junge Menschen, die man lange als Durchhänger abgestempelt hatte, erscheinen auf der Bildfläche und benutzen eine andere Sprache, die nicht schon dreizehn Runden durch den Bundestag gezogen ist. Ganz entscheidend ist, dass wir den Anspruch erheben können, weil es um unsere Zukunft geht. Wir können sagen: Ihr nehmt, was wir noch gar nicht hatten und damit auch nicht mehr kriegen. Dass junge Frauen vorne stehen, finde ich jetzt nicht so wahnsinnig erstaunlich. Wir sind eine emanzipierte Generation und das heißt, natürlich achten wir auf Gender Balance bei den Speakern.
Wo sind die Jungs?
Die sind auch da, sie machen unfassbar wichtige Arbeit, vor und oftmals auch hinter den Kulissen. Tauchen aber statistisch tatsächlich weniger auf unseren Streiks auf.
Haben Sie persönlich Vorbilder?
Wie ich sagte, das war ein relativ unbespieltes und damit freies Feld, es gibt da keine präsenten klimapolitischen Stimmen, mit denen ich aufgewachsen bin. Naomi Klein vielleicht?
Aber keine Angela Davis.
Tut mir leid, die kenne ich nicht. Was noch wichtig ist, bei der Frage um die weibliche Erscheinung der Bewegung: Wenn da jemand steht, der jung ist und weiblich wie Greta, inspiriert und spricht das ganz anders junge weibliche Personen an. Das, glaube ich, hat einen großen Effekt.
Brauchen wir demnach Gendersternchen?
Wir brauchen Wege, damit Sprache verschiedene Geschlechter bedenkt. Ob das jetzt das Gendersternchen ist oder nicht – sollen die Leute so praktizieren, wie sie es glücklich macht. Aber ich fühle mich definitiv nicht angesprochen, wenn da steht: »Die Klimastreiker rufen zum Streik auf.« Wenn wir nicht anfangen, die Hälfte der Gesellschaft in unserer Sprache mitzunehmen, dann glaube ich nicht, dass wir mit einem emanzipatorischen Projekt ausreichend Erfolg haben können.
Muss die nächste Bundeskanzlerin eine Frau sein?
Wenn es so eine wäre wie Annegret Kramp-Karrenbauer, dann danke bestens.
Liebäugeln Sie insgeheim mit Ökosozialismus?
Was ist das?
Die Vorstellung, den Kapitalismus zu überwinden und Öko und Sozialismus in perfect harmony zusammenzubringen.
Ich glaube, dass Herr Lindner denkt, dass wir das wollen, oder? Die Planwirtschaft?
Der FDP-Vorsitzende spricht bisweilen so.
Ich glaube, das möchte er glauben, dass wir das wollen.
Also kein Ökosozialismus.
Wenn wir die Klimakrise ernsthaft angehen, dann werden wir feststellen, dass wir ganz viel verändern müssen. Und nach diesen ganzen Veränderungen, werden wir feststellen, dass wir nicht mehr in einem Kapitalismus leben, wie wir ihn heute erleben. Aber ich glaube nicht, dass das dann ein Sozialismus ist und auch kein Ökosozialismus. Das wird eine andere Form sein von einem Wirtschaftssystem. Der richtige Ansatz ist nicht zu fragen, was das dann ist.
Sondern?
Wo wollen wir hin, wie kommen wir dahin und was sind die Alternativen? Das Wie ist entscheidend.
Wann ist FFF überflüssig?
Uh, cool! Gute Frage. Was macht uns überflüssig? Die Entdeckung des Selbsterhaltungstriebs der bundesdeutschen Politik und Industrie. Wir erschaffen Lebensräume, die nicht mehr sicher für Menschen sind. Das muss man sich mal reinziehen. Ich glaube, sich dieser Absurdität, dieses existenziellen Widerspruchs erst wirklich bewusst zu werden, ist der entscheidende Schritt als Gesellschaft, als politisches Ganzes. Aber ich sehe keinen Anlass, sich darauf zu verlassen, dass schnell gehandelt wird. Die Lage hat sich ja nicht verbessert in den letzten dreißig Jahren. Seit dem Pariser Abkommen 2015 ist sogar alles drastischer geworden. Also, ich bin tragischerweise zuversichtlich, dass wir noch eine Weile protestieren werden müssen.
Interview: PETER UNFRIED