: Flöte und Wind
■ Carin Levine spielte solo in der BKA-Reihe »Unerhörte Musik«
Ausschließlich zeitgenössische Musik spielte die amerikanische Flötistin Carin Levine in einem Soloprogramm am Dienstag abend in der BKA-Reihe »Unerhörte Musik«. So begann das Konzert auch mit einem Stück eines Berliner Klassikers, des südkoreanischen Komponisten Isan Yun. Nach dessen asiatisch eingefärbten Sori folgte Steinwind, ein Stück für Flöte und Tonband des jungen Komponisten Martin Daske. Zu den meist brodelnd- perkussiven Piano-Welten des Bandes bevorzugt die Flöte die hohen Register und oftmals, dem Titel angepaßt, Windiges.
Nach zwei weiteren Stücken des Stockhausen-Schülers Robert HP Platz (die durch formale Schlüssigkeit auffielen) und des Komponisten Axel Ruoff dann nach kurzer Pause die Musik in vier Sätzen von Rainer Rubbert. Es ist das erste Stück an diesem Abend, dem es beeindruckend gelingt, lyrische Tiefen auszuloten. Da darf die Flötistin dann auch Sprech- und Zisch- und S-Laute von sich geben, die aber keineswegs dem Flötenklang entgegenstehen, sondern fließend mit den avancierten Artikulationsweisen verschmelzen. Schneller Mittel- und Schlußsatz sorgen für extrovertierte Gegenpole zu den bedächtigen Innenwelten des ersten und dritten Satzes.
Der Szalonek-Schüler Rainer Rubbert, der auch Mitveranstalter der Reihe »Unerhörte Musik« ist, schrieb dieses Stück erstaunlicherweise bereits 1976 im Alter von zwanzig Jahren.
Anschließend die Uraufführung von The Tides, zu deutsch »Die Gezeiten« von der in Berlin lebenden Amerikanerin Laurin Schwartz. Für dieses Stück darf dann auch Elektronik mittun. Carin Levine stellt es auf der verstärkten und vermutlich auch leicht verhallten Baßflöte vor. Der Parcours moderner Spieltechniken wird eindrucksvoll absolviert, und die Verstärkung verleiht den heimlichen Klangmöglichkeiten des Instruments enorme Plastizität. Das geschieht so überzeugend, daß es wohl heute kaum noch anzuraten ist, auf das Mittel elektronischer Verstärkung zu verzichten, werden doch leiseste Obertonfolgen, Klappengeräusche bis hin zu sonst kaum wahrnehmbarem Luftsäuseln hörbar gemacht.
Mit der Deutschen Erstaufführung des Stückes Scrivo in Vento war nicht nur zum zweitenmal nach Martin Daskes Stück die Assoziationsnähe der Flöte zum Wind thematisiert, sondern auch mit dem Komponisten Elliot Carter ein Klassiker der amerikanischen Moderne bedacht. Seine motivisch-ableitende Kompositionsweise wirkte allerdings im Umkreis der Stücke jüngerer Komponisten fast schon konservativ.
Den glänzenden Schlußpunkt setzte ein Stück namens Entzeichnung von Bernfried Pröwe, eine hinreißend witzige Persiflage auf den Geschwindigkeitsrausch moderner Flötenmusik. Da darf die Flötistin ihre absurden Prestissimo-Passagen nur zum lauten Luftschnappen, kurzen Ausrufen oder stimmhaften Einhecheln unterbrechen.
Der nächste Dienstagabend der »Unerhörten Musik« am 19.11. ist wieder mal der klassischen Moderne gewidmet: Agnes Malich und Arthur Hipp werden Violinsonaten von Bartók spielen. Fred Freytag
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