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Werbung nicht nur für Waschmittel

Bundesweite Kampagne in allen Medien: „Ausländerhaß — nicht mit uns“  ■ Von Burkhard Straßmann

Hätte Hitler verhindert werden können, wenn seinerzeit Top-Werbeagenturen die Chance und den Auftrag erhalten hätten, eine gigantische Anti-Nazi-Kampagne durchzuführen? Die „Kreativ-Direktoren“ der Frankfurter Werbeagentur „Young & Rubicam“ können sich das unter gewissen Umständen vorstellen. Anlaß zu derlei seltsamen Spekulationen ist eine bundesweite Medienkampagne, die in diesen Tagen anläuft.

„Ausländerhaß — nicht mit uns“ heißt das Motto der vom Hessischen Rundfunk angestoßenen Werbeaktion. Vier der großen Frankfurter Werbeagenturen versuchen mit den Mitteln ihrer Branche, etwas gegen Rassismus, Ausländerhaß und Intoleranz zu unternehmen. Die Botschaft der Werbeprofis lautet: Ausländerhaß gehört sich nicht und ist out.

Die Idee entstammt der Fernsehunterhaltung. In der HR-3-Show namens Holgers Waschsalon, in der Moderator Holger Weinert regelmäßig Prominente „auszuziehen“ versucht. Für den 23. Oktober war Cornelia Schmalz-Jacobsen, designierte Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, eingeladen. Man plante, ihr als „Einstiegsgeschenk“ eine fertige Werbekampagne gegen Ausländerhaß zu schenken. Anfragen bei Frankfurter Werbeagenturen brachten durchschlagenden Erfolg: Young & Rubicam (Schöpfer des Slogans: „Bei ARD und ZDF sitzen Sie in der ersten Reihe“ oder der „lila Kuh“), Ogilvy & Mather, Saatchi & Saatchi sowie Leipziger & Partner stellten innerhalb einer knappen Woche gratis komplette Kampagnen auf die Beine, Videoclips, Druckvorlagen für Printmedien und für Reklametafeln.

Die Ergebnisse befand eine „Jury“, zu der Multikultur-Stadtrat Dany Cohn-Bendit gehörte, für so gut, daß der HR aufgefordert wurde, mit seinen Mitteln alle vier Kamapagnen zu realisieren.

Letzten Freitag abend zur besten Sendezeit — Wencke Myhre hat gerade ihre Pauker-Späßchen hinter sich gebracht — erscheint auf dem Bildschirm der Globus aus NASA- Sicht, quer darüber die Headline „Ausländer raus“, das ganze ist mit Laurie Andersons unterlegt, eine Stimme aus dem Off: „In 178 Ländern der Erde sind wir Deutsche selbst Ausländer. Tun wir nicht so, als wären wir allein auf der Welt.“

Erfolg der Sonderredaktion „Ausländerhaß — nicht mit uns“ des HR. Nachdem drei verschiedene Spots in den dritten Programmen und vormittags schon gelaufen waren, rückt jetzt auch die ARD ihre besten Sendeplätze heraus. Die Videoclips, professionell hergestellt und keineswegs „nur gut gemeint“, sollen unregelmäßig und gut plaziert kommen. Etwa vor den Lottozahlen. Oder gar — das ist aber noch nicht sicher — zur 120.000-Mark-Minute vor der Tagesschau.

Auch auf anderen Ebenen scheint das Projekt Selbstläufereigenschaften zu haben: Überregionale Zeitungen stellen Anzeigenplatz zur Verfügung, Druckereien drucken umsonst, Cohn-Bendit leierte der „Städtereklame“ Werbeflächen aus dem Kreuz, Schulklassen, Altengesprächskreise, Behörden und sogar Kaufhausbelegschaften fragen wegen der Plakate an. Sie können unter verschiedenen Motiven wählen.

Die krasseste Sprache spricht eine Plakatserie, die Ergebnisse der Antisemitismus-Forschung aufgreift, etwa das deutsche Schweigen und Wegsehen. „Wer hilft mit, Abdul die Zähne einzuschlagen?“ oder „Wer hilft mit, Zeinab anzuzünden?“, heißt es in großen Lettern. Antwort: „Alle, die schweigen, Alle, die dabeistehen. Alle, die wegschauen. Alle, die heimlich Beifall klatschen.“ Dazu sympathische Porträts der potentiellen Opfer.

Voll auf die Didaktik des positiven Verstärkens setzt eine Kampagne „Deutschland — Menschen mit Herz“: Dokumentarisch wirkende Farbfotos multikulturellen Miteinanderglücklichseins werden von einem jubelnden Text begleitet. Botschaft: Wir haben ein Herz, Freunde aus vielen Nationen, ein gemeinsames Dach, wir sind tolerant und offen.

„Armes Deutschland“ wiederum konstruiert mit allen grafischen und typografischen Mitteln einen denkanregenden Gegensatz. Beispiel: „Ohne das Ausland gäbe es kein vereinigtes Deutschland“ (schwarz auf weiß). „Und jetzt soll es ein Deutschland ohne Ausländer geben?“ (weiß auf schwarz, in Fraktur). „Armes Deutschland“ (in blutrot) und schwarz-rot-gold unterstrichen: „Deutschland, kein Boden für Haß und Gewalt.“

Die Suggestion der, wie die Organisatoren hoffen, bald flächendeckenden Kampagne: Nicht nur die Moral spricht gegen das Wegsehen der „schweigenden Mehrheit“; wer schweigt, ist out. Wer auf den Höhe des Diskurses sein will, ist für die Fremden. Wer nicht mit der Zeit geht, läuft Gefahr, ausgegrenzt zu werden. Von dem Geschäft, ein neues Image zu verkaufen, verstehen die Werbeagenturen einiges. Die Frage, ob Werbung Politik ersetzen kann, ist womöglich schon ein Anachronismus. Die Frage, ob sie einen Hitler verhindern kann, nicht.

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