: Zerfall der CSFR geht weiter
Referendum über die Zukunft eines gemeinsamen Staates abgelehnt ■ Aus Prag Sabine Herre
Die Anhänger der tschechoslowakischen Föderation haben eine weitere Niederlage erlitten. Eine — völlig neue — Koalition aus Christdemokraten, Kommunisten, slowakischen und mährischen Nationalisten lehnte in der Prager Föderalversammlung ein Referendum über die Zukunft des gemeinsamen Staates der Tschechen und Slowaken ab.
Keine der vor allem von den Gruppierungen des ehemaligen Bürgerforums und von Staatspräsident Vaclav Havel vorgelegten Anträge konnte die notwendige Dreifünftelmehrheit in beiden Kammern des Parlamentes erhalten. Mehr als enttäuscht sind somit auch 1,7 Millionen Bürger der CSFR. Sie hatten in den vergangenen Wochen eine Petition für die Durchführung einer Volksabstimmung unterschrieben. Durch diese sollte der Zerfallsprozeß der CSFR gestoppt werden: In Meinungsumfragen hatte sich in beiden Teilrepubliken stets eine Mehrheit für die Föderation ausgesprochen. Die Argumente der Referendumsgegner entbehrten nicht einer gewissen Komik.
Nur wenige Stunden, nachdem die Gespräche über einen Staatsvertrag zwischen der slowakischen und der tschechischen Republik durch die Kompromißlosigkeit der slowakischen Seite weitgehend gescheitert waren, vertraten sie die Ansicht, daß noch nicht alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden seien. Die Mitglieder der mährischen Unabhängigkeitsbewegung forderten ein Referendum, in dem nach der Zustimmung zu einer Föderation gefragt werden würde. Die Kommunisten wollen überhaupt nicht den Staat zur Disposition stellen.
Doch auch die Befürworter des Referendums zeigten eine überraschende Einheit. Obwohl es durchaus unterschiedliche Positionen darüber gab, ob die Frage „positiv“ — also für den Erhalt der CSFR — oder „negativ“ — für die Trennung des Staates —formuliert werden sollte, stimmten die bei anderen Diskussionen in einen rechten und einen linken Flügel gespaltenen Nachfolger der Bürgerbewegung stets gemeinsam.
Eine Niederlage erlitten am Mittwoch jedoch auch die slowakischen Separatisten. In Bratislava lehnt das slowakische Parlament eine Diskussion über die von ihnen eingebrachte „Erklärung der Souveränität der Slowakei“ ab. Für die Aufnahme des Antrags in die Tagesordnung stimmten 65 Abgeordnete, 50 waren dagegen, 25 enthielten sich. Auch hier war zu hören, daß vor der Erklärung der Souveränität alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müßten.
Doch an einen Erfolg dieser Verhandlungen glaubt in der Tschechoslowakei fast niemand mehr. So wird vor allem in Bratislava verstärkt über vorzeitige Neuwahlen nachgedacht. In diesen hätten die Bürger die Möglichkeit, sich für die Partei zu entscheiden, die in den verfassungsrechtlichen Fragen ihre Meinung vertritt. Die im Frühjahr 1990 vor Beginn der Diskussion gewählten Abgeordneten hätten hierzu kein Mandat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen