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Die Wirtschafts-Weisen tadeln die Bonner Herren für den Schuldenberg

■ Der Sachverständigenrat rechnet 1992 mit 3,4 Millionen Arbeitlosen und zwei Prozent Wachstum

Bonn (dpa/ap/taz) — Ein nachdenkliches Konjunkturszenario haben gestern die fünf Weisen beim Bundeskanzler abgeliefert. Über drei Millionen Arbeitslose, eine flauere Konjunktur und einen Verschuldungsrekord prognostizieren die Bonner Hofgutachter für das kommende Jahr. In ihrem vorgelegten Bericht gehen sie scharf mit der Bonner Finanz- und Wirtschaftspolitik ins Gericht: Bei den Finanzen habe die Bundesregierung „das meiste beim alten belassen“ und die Schulden in die Höhe getrieben, statt eisern zu sparen und Subventionen einschneidend zu kürzen, krittelte der Sachverständigenrat. Nach Ansicht der fünf Wirtschaftsprofessoren droht dem Staat im kommenden Jahr ein Verschuldungsrekord von 200 Mrd. Mark. Der Grund: Treuhandanstalt, Sozialversicherung, Bahn und Post, so die Weisen, würden den Kapitalmarkt wesentlich stärker in Anspruch nehmen, auch wenn die Haushaltsdefizite von Bund, Ländern und Gemeinden 1992 mit 131 Mrd. Mark niedriger als 1991 ausfallen.

Sorgen bereitet den Weisen die Arbeitslosigkeit: Sie wird von rund 2,6 um 24 Prozent auf 3,3 Millionen anwachsen. In Ostdeutschland steigt laut Gutachten die Arbeitlosenquote von 10,5 auf 16 Prozent; 1992 werden damit rund 1,4 Millionen Erwerbstätige ohne Arbeit sein. Im Westen dürfte die Arbeitslosigkeit ebenfalls von 1,7 auf 1,9 Millionen anwachsen. Die Konjunktur wird nächstes Jahr flauer: Für Westdeutschland erwarten die Gutachter einen Anstieg des Bruttosozialprodukts (BSP) um zwei Prozent; die Inlandsproduktion soll um 2,5 Prozent steigen. Diese „etwas ruhigere Gangart der Konjunktur“ sei gesamtwirtschaftlich „nicht unerwünscht“, kommentierten die Konjunkturpäpste, denn die Inflationsrate wird sich von 3,5 Prozent auf vier Prozent im Jahr 1991 erhöhen. In Ostdeutschland, so die Professoren, werde sich die Wirtschaft stabilisieren, das BSP in den neuen Ländern könne 1992 um 9,5 Prozent steigen, die Produktion um 7,5 Prozent. Die Inflation dürfte 1992 mit 8,5 Prozent doppelt so hoch wie im Westen liegen. Mit seiner Ost-Prognose ist der Sachverständigenrat optimistischer als die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die in ihrem Herbstgutachten 1,5 Millionen Arbeitslose und eine Inflationsrate von zwölf Prozent voraussagten. „Dreh- und Angelpunkt“ für die Sachverständigen ist die Exportentwicklung. Sie rechnen damit, daß das stagnierende Auslandsgeschäft mit einer verbesserten Konjukturlage in den wichtigsten Industrieländern wieder in Schwung kommt. Die Investitionen der Unternehmen werden 1992 mit 2,5 Prozent nur halb so stark steigen wie in diesem Jahr. Für Ostdeutschland sei eine Steigerung der Investitionen um fast 25 Prozent zu erwarten. Die Bundesregierung müsse den Neuaufbau der Wirtschaft in den neuen Ländern weiter fördern; sie dürfe sich aber nicht in Einzelmaßnahmen verzetteln. Vor allem komme es darauf an, das Wirtschaftswachstum im Westen zu erhalten und die Geldstabilität zurückzugewinnen. Auch in der Tarifpolitik wurden Kurskorrekturen in Form niedriger Lohnabschlüsse gefordert. Der Verteilungsspielraum werde angesichts der unter Druck geratenen Gewinne der Unternehmen enger.

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