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Die Wonnen der Wiederholung

■ Über Ivy Compton-Burnetts „Hoch und heilig“

Looks like we've got ourselves another Compton-Burnett“, sagt von seinem Roß herunter ebenso lakonisch wie schwerübersetzbar Captain Baxter auf dem Titelcartoon einer der letzten Nummern des 'London Review of Books‘. Ich möchte mich ihm anschließen und sagen: Freut euch, es gibt wieder einen davon auf deutsch, und hinzufügen: Er gleicht seinen Vorgängern aufs Haar und denen, die hoffentlich folgen werden (kauft, Leute, kauft, damit Klett-Cotta nicht den Mut verliert), und das ist gut so. Ivy Compton-Burnett (1884—1969), im 'Spiegel‘ zu Recht „eine der eigentümlichsten Autorinnen dieses Jahrhunderts“ genannt (aber nur wenn man die Herren dazuzählt, sonst klingt es, als wäre sie „nur“ mit Virginia und anderen Wölfen zu vergleichen), besitzt dieses gewisse Etwas, das manche Autoren haben und worüber man sich mit der Zeit eher mehr als weniger wundert:

Stilistisch und thematisch völlig homogen, schreiten sie in jedem ihrer Bücher diese ihre Welt ab, die man nach der ersten Zeile wiedererkennt, mit demselben Personal. In diesem Fall handelt es sich um spätviktorianische Hausbesitzer (es ist bei Compton-Burnett äußerst wichtig, daß und welches Haus man besitzt, es geht wie in jeder guten Literatur dauernd ums Geld, wer es hat und wieviel davon), die einander mit jeder Plausibilität entbehrenden Wechselreden die Hölle heiß machen und unter der zunächst gerade noch glatt erscheinenden Oberfläche das ganze Panoptikum der niedrigen Leiden- und schlechten Eigenschaften aufbrechen lassen. Und zwar ausschließlich mit Hilfe des Dialogs.

Die Romane Compton-Burnetts (für die Bedauernswerten, die es noch nicht wissen, sei's noch einmal angemerkt) bestehen aus nichts als Dialogen. Nur spärlich, in Hoch und heilig vielleicht etwas üppiger als üblich, gibt es knappe Personenbeschreibungen und Szenenanweisungen; zudem enthalten die Szenen stets nur das Banalste; Beisammensein, Auseinandergehen, zusammen Essen, Spazieren, aber eigentlich: Reden. Im Reden wird alles zur Sprache gebracht, in einer Weise, die einen immer neu schockiert. Der geniale Kunstgriff besteht „einfach“ darin, das Unbewußte, Halbbewußte, eben das, was man in der Konversation niemals oder nur auf höchst versteckte Weise anbringen würde, zum Gegenstand und Zentrum der Konversation zu machen. Hervorragende Akteure sind hierbei die Kinder:

„,Hat Vater es gewußt?‘ fragte Julius.

,Ja, er hat es gewußt‘, sagte Jessica. ,Es ist ihm näher gegangen, als er gezeigt hat.‘

,Eigentlich ist es aber doch gescheiter, wenn man alles zeigt‘, meinte Dora. ,Obwohl man annimmt, daß die tiefen Gefühle verborgen bleiben. Aber eigentlich sind sie doch ziemlich sinnlos, wenn man sie nicht einmal sieht.‘

,Ein echtes Gefühl ist nie vergeudet‘, widersprach ihre Mutter.

,Aber es hat keinen Sinn für die Person, auf die es sich bezieht‘, wandte Julius ein. ,Und das ist schon irgendwie sinnlos.‘“

Jeder Roman ist ein Krimi, der sich zwischen Wohlerzogenen abspielt, die wie nebenbei Indizien gegeneinander sammeln, ohne je aus der gesellschaftlichen Rolle zu fallen. Oder eben doch. In Hoch und heilig (im Original „Elders and Betters“ — auch die Titel klingen alle ähnlich, so daß man die Bücher in der Erinnerung nie auseinanderhalten kann) findet sich etwa die aberwitzige Szene, wo die große Familie sich zum Essen setzen will und einer aus der Runde plötzlich bemerkt, daß sie 13 sind, und anfügt, es gebe doch diesen verbreiteten Aberglauben, daß in so einem Fall jener, der sich zuerst hinsetzt, als erster sterben wird, worauf niemand mehr wagt, sich hinzusetzen. Dann wird die Vermutung geäußert, der Aberglaube beziehe sich auf den letzten der 13, der sich hinsetze, dann sagt plötzlich jemand (ich habe schon wieder vergessen, wer: Auch die Personen verwechselt und vergißt man dauernd), sie seien doch 14 und nicht 13. Das bleibt dann offen, außer der Leser macht sich die Mühe zu rekonstruieren, wer nun wirklich um den Tisch sitzt, und schließlich stirbt — wie von Anfang des Romans an vorhergesagt, so nachhaltig, daß man es schon nicht mehr glauben will: jene kränkelnde Tante, um deren Erbschaft sich die Intrige des Romans dreht.

Es geht immer um dergleichen, wird immer gleich erzählt, es ist letztlich immer der gleiche Roman, den Ivy Compton-Burnett an die dreißigmal geschrieben hat in ihrem, wie sie selber sagte, ereignislosen Leben. In jedem entfaltet sie ihre Magie aufs neue, köstlichste. Wie ein Freund einmal gesagt hat: Wenn man's erst gewöhnt ist, ist man ganz verrückt drauf. Was es genau ist, worauf man da verrückt werden kann, dürfte der Anglophile schneller begreifen als andere, die sich durch die doch beträchtliche kulturell-sprachliche Eigenart schwerer zum „allgemein Menschlichen“ durcharbeiten müssen.

In letzter Zeit ist die neuere englische Literatur ja etwas mehr ins Rampenlicht gerückt, und vielleicht nützt das auch dieser eminent englischen Autorin, die auf ihre stille, unscheinbare Art wohl mindestens so exotisch ist wie einer jener Urwald-, Sumpf- und Cholerabarden, die, mit geschickten Hybridformen des europäischen Romans arbeitend, die Literatur der achtziger Jahre geprägt haben. Walter Klier

Ivy Compton-Burnett: Hoch und heilig. Roman. Aus dem Englischen von Peter Marginter. Klett- Cotta-Verlag, 345 Seiten, geb., DM 34

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